gms | German Medical Science

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Hatten alte Menschen im Lockdown mehr psychische Probleme? Eine Repräsentativerhebung im April 2020

Meeting Abstract

  • Steffi G. Riedel-Heller - Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Leipzig, Deutschland
  • Ulrich Reininghaus - Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Abteilung | Department of Public Mental Health, Mannheim, Deutschland
  • Susanne Röhr - Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Leipzig, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf045

doi: 10.3205/20dkvf045, urn:nbn:de:0183-20dkvf0451

Published: September 25, 2020

© 2020 Riedel-Heller et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Studien aus früheren SARS und MERS-Epidemien zeigten eine erhebliche psychosoziale Belastung bei Personen in Quarantäne gezeigt, insbesondere Depressivität, Ängstlichkeit, Stress und posttraumatische Symptomatik. Besonders wurde dies für Mitarbeiter des Gesundheitswesens, aber auch für weitere vulnerable Gruppen, wie Menschen mit einer psychischen Vorerkrankung berichtet. Daten für alte Menschen, die ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung haben, liegen nicht vor.

Fragestellung und Zielsetzung: Hatten alte Menschen im Lockdown mehr psychische Probleme und damit erhöhte Versorgungsbedarfe?

Methode oder Hypothese: Dazu wurden computerassistierte standardisierte Telefoninterviews mit einer repräsentativen Stichprobe älterer Menschen (N=1005, 65+) während des Lockdowns im April 2020 durchgeführt. Es wurden soziodemographische Faktoren, Aspekte der persönlichen Lebenssituation, Einstellungen zu SARS-COV-2 und eine standardisierte Messung von Depressivität, Angst, Somatisierung, posttraumatischen Stress, gefühlten Stress, Einsamkeit und soziale Unterstützung erfasst. Gewichtete deskriptive Statistiken und Regressionsanalysen wurden durchgeführt.

Ergebnisse: Die Studienteilnehmer waren im Schnitt 75,5 Jahre (SD=7,1; Range 65-94) alt. 56,3% waren Frauen. Ältere Menschen in Deutschland zeigten sich hinsichtlich der Pandemie besorgt und unterstützen in großer Mehrheit die getroffenen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes der Regierung. Anders als vermutet, erwiesen sich die Senioren in Deutschland im Corona-Lockdown auch als mehrheitlich psychisch stabil. Die Ergebnisse dieser repräsentativen Stichprobe in Bezug auf Depressivität, Ängstlichkeit, Somatisierung und Einsamkeit unterschieden sich nicht von den Resultaten, die man für die deutsche Allgemeinbevölkerung aus Vor-Pandemie-Zeiten kennt. Die soziale Unterstützung hingegen wurde insgesamt als besser empfunden. Dabei fühlten sich ältere Menschen, die zum Beispiel telefonisch oder virtuell in engem Austausch mit anderen Personen jenseits des eigenen Haushalts standen, besonders sozial unterstützt. Diejenigen, wo dies nur partiell der Fall war, wiesen mehr Stresssymptome auf. Allenfalls sehen wir leichte psychologische Effekte des zeitlich begrenzten Lockdowns in bestimmten Subgruppen, die gegebenenfalls mehr Schwierigkeiten mit der Anpassung an die neue Situation hatten.

Diskussion: Die Ergebnisse legen eine hohe Resilienz gegenüber problematischen Lebensereignissen in dieser Gesamtgruppe nahe. Längsschnittliche Untersuchungen über den Verlauf der Pandemie und die psychische Gesundheit sind notwendig, um möglicherweise längerfristige Effekte zu detektieren.

Praktische Implikationen: Generell konnten keine erhöhten psychosozialen Versorgungsbedarfe bei alten Menschen festgemacht werden, diese scheint es eher in Subgruppen zu geben.