gms | German Medical Science

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Physiotherapeutische Versorgung von Menschen mit Urininkontinenz in Deutschland

Meeting Abstract

  • Dirk Peschke - hsg Bochum, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum, Deutschland; Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen, Deutschland
  • Susanne Stiefler - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen, Deutschland
  • Kathrin Seibert - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen, Deutschland
  • Dominik Domhoff - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen, Deutschland
  • Karin Wolf-Ostermann - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf008

doi: 10.3205/20dkvf008, urn:nbn:de:0183-20dkvf0086

Published: September 25, 2020

© 2020 Peschke et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Urininkontinenz ist ein typischer altersassoziierter Funktionsverlust. Sie reduziert Lebensqualität und Teilhabe und erhöht das Risiko für unerwünschte Ereignisse, wie Pflegeheimeintritte. Beckenbodentraining kann die Symptome und damit auch Folgeerkrankungen reduzieren. Es birgt keine Risiken oder Nebenwirkungen für die Betroffenen und kann von den allermeisten erlernt und ausgeführt werden. Erlernt werden kann es in Physiotherapiepraxen, sofern es von einem Arzt verordnet wurde. Aufgrund der hohen Effektivität, geringer Risiken und Kosten sowie einer einfachen Zugänglichkeit, sollten alle Menschen mit Harninkontinenz ein solches Training erhalten.

Fragestellung und Zielsetzung: Aktuell liegen nur wenige Erkenntnisse zur Physiotherapieversorgung bei Harninkontinenz vor, weshalb sie in der vorzustellenden Studie für Männer und Frauen differenziert untersucht wurde.

Methode oder Hypothese: Die retrospektive Kohortenstudie basiert auf bundesweiten Krankenkassendaten von AOK Versicherten aus den Jahren 2007–2016. Die Analysen fokussieren zum einen auf eine Individualebene aber auch auf eine populationsbezogene Ebene, in der funktional definierte Versorgungsgemeinschaften unterschieden werden. Die Versorgungsraten werden Quartalsweise erhoben und berichtet.

Ergebnisse: Die Stichprobe enthält 4.042.954 Frauen und 2.498.423 Männer, die im Jahr 2007 65 Jahre oder älter waren. 10,8% dieser Frauen (436.410) und 5,0% dieser Männer (123.972) erhielten im Jahr 2007 eine Inkontinenzdiagnose (ICD-10-GM: N39.3, N39.4 und R32) und bei 1,8% der Frauen und 1,1% der Männer ist diese als erstmalige Diagnose in dem Sinne zu verstehen, dass sie im Jahr 2006 keine solche bekommen hatten.

Insgesamt erhielten 11,9% aller Patienten mit Urininkontinenz Physiotherapie und 10,9% von denjenigen mit inzidenter Diagnose im ersten Quartal 2016. Diese Raten fallen für Frauen mit prävalenter aber auch inzidenter Diagnose etwas höher aus (12,2% vs. 10,9% und 11,2% vs. 9,1%), ebenso für Menschen mit Pflegebedarf und inzidenter Diagnose (ohne Pflege 7,9%, mit häuslicher Pflege 11,9% im Pflegeheim 10,5%). Die Varianz zwischen funktional definierten Populationen zeigt ein IQR von 4,5 Prozentpunkten um einen Median von 10,64 (Std 5,2%, Mittelwert 10,59%) für Menschen mit neuer Inkontinenzdiagnose im Jahr 2016.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen eine große Unterversorgung mit Physiotherapie bei Menschen mit Harninkontinenz. Die Unterschiede sind dabei geringer zwischen den Geschlechtern und Altersgruppen als zwischen funktional definierten Populationen. Dies lässt den Schluss zu, dass es nur eine geringe Versorgungsungleichheit zwischen den Geschlechtern und Altersgruppen vorliegt aber größere Verbesserungspotentiale bei einzelnen Leistungserbringenden-Gemeinschaften.

Praktische Implikationen: Der Zugang zur Physiotherapie für ältere Frauen und Männer mit Urininkontinenz soll in Deutschland dringend verbessert werden.