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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Gute Versorgung trotz Fachkräftemangel? Eine Herausforderung für die Zukunft

Meeting Abstract

  • Isabelle Riedlinger - Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Esslingen, Germany
  • Nora Lämmel - Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Esslingen, Germany
  • Dorothee Müller - Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Esslingen, Germany
  • Karin Reiber - Hochschule Esslingen, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Esslingen, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf509

doi: 10.3205/19dkvf509, urn:nbn:de:0183-19dkvf5099

Published: October 2, 2019

© 2019 Riedlinger et al.
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Text

Hintergrund: Der Pflegefachkraftmangel in Deutschland ist derzeit eines der meist diskutierten Themen. Im Hinblick auf die zukünftige pflegerische Versorgung ist ein „weiter so“ nicht möglich [1]. Dabei geht es nicht nur um die Belastung und Gesundheit der Fachkräfte. Nur mit einer qualitativ/quantitativ ausreichenden Personalausstattung kann eine pflegerische Versorgung gewährleistet werden, die den fachlichen Standards ebenso entspricht wie den Bedarfen und Bedürfnissen der Pflegeempfänger*innen. Um eine pflegerische Versorgung gemäß state of the art perspektivisch sicherzustellen, werden daher Kenntnisse relevant, wie der Personalmangel sich schon jetzt auf die pflegerische Versorgung auswirkt. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Zusammenhang zwischen Fachkraftsituation und Kompetenzentwicklung beruflich Pflegender, da die Qualifikation der Pflegekräfte, neben einer angemessenen Fachkräfteausstattung, einen maßgeblichen Einfluss auf die Versorgungsqualität hat [2].

Fragestellung: Welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel in der Pflege aktuell und perspektivisch auf die (pflegerische) Versorgung? Welche Handlungsansätze lassen sich zur Verbesserung der Situation ermitteln?

Methode: Im Rahmen des Teilprojekts eines interdisziplinären Forschungsverbunds wurden zunächst in explorativen Interviews Schlüsselthemen zur Fachkraftgewinnung/-bindung identifiziert. Aufbauend wurden in einer Delphi-Befragung Aktivitäten zur Fachkraftsicherung und erforderliche Rahmenbedingungen aus Sicht pflegefachlicher Einrichtungs- und Schulleitungen erhoben. In multiperspektivischen Betriebsfallstudien wurden Aktivitäten rund um Strategien der Fachkraftgewinnung/-bindung untersucht.

Ergebnisse: Den Ansprüchen an eine professionelle Pflege können die Pflegefachkräfte in Zeiten des eklatanten Fachkräftemangels häufig nicht gerecht werden. Das Arbeiten im Krisenmodus ist zum Normalzustand geworden, was sich in einem mitunter institutionalisierten Ausfallmanagement zeigt. Die Kompensation von Personalausfall führt bei den verbleibenden Fachkräften an die Belastungsgrenze. Daraus resultiert nicht nur eine Überforderung des Pflegepersonals, sondern auch eine Gefährdung der Patient*innen/Bewohner*innen. Wie die Ergebnisse zeigen, werden aufgrund fehlender Ressourcen Personalentwicklungsstrategien auf ein Mindestmaß reduziert und damit (Weiter-)Qualifizierungen der Fachkräfte nicht konsequent gefördert. Die als Erfolg versprechend eingeschätzte Strategie der betriebsinternen Ausbildung erfordert aufgrund der geringen Bewerber*innenzahlen eine Absenkung der Zugangsvoraussetzungen, auch die Anleitung in der Praxis leidet unter der angespannten Fachkraftsituation. Mittelfristige Konsequenz ist ein sinkendes Qualifikationsniveau. Das Risiko einer Deprofessionalisierung besteht, bei steigenden Erwartungen und Anforderungen, wie sie bspw. im neuen Pflegeberufegesetz definiert sind.

Deutlich wird weiterhin, dass die Einrichtungen trotz einer hohen Aktivität zur Personalgewinnung/-bindung häufig keine zufriedenstellende Fachkraftausstattung erreichen. Konsequent strategisches Handeln auf Einrichtungsebene ist aufgrund des Krisenmanagements erschwert. Eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen, könnte die Vertretung von gemeinsamen Interessen über die Mitwirkung von Leitungspersonen in Gremien und Netzwerken sein. Es zeigt sich allerdings, dass sich diese nur in geringem Maße zielgerichtet vernetzen und gemeinsam mit relevanten Schlüsselpersonen Lösungen aushandeln. Stattdessen kann von einer Konkurrenzsituation unter den Einrichtungen im Ringen um Fachkräfte gesprochen werden. Es werden also Lösungsmöglichkeiten relevant, die in den jeweiligen Betrieben ansetzen und dabei die Wettbewerbssituation berücksichtigen.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass ein Großteil der personalplanerischen Ressourcen in das Aufrechterhalten betrieblicher Abläufe bei dauerhaftem Personalmangel fließt. Folglich wird ein Zusammenhang zwischen Personalmangel und einer Gefährdung des Qualifikationsniveaus in der Pflege deutlich. Dies hat längerfristig negative Folgen für die pflegerische Versorgung ebenso wie für die Professionalisierung des Pflegeberufs und somit auch seiner Attraktivität.

Praktische Implikationen: Erforderlich wäre ein konzertiertes strategisches Handeln der gesamten Pflegebranche oder settingbezogener Bereiche, um die Rahmenbedingungen für das betriebliche Personalmanagement zu verbessern. Bedarfsgerechte Qualifikation von der Ausbildung bis zur Fort- und Weiterbildung wird benötigt, um eine gute pflegerische Versorgung zu garantieren. Dabei ist ein Austarieren von betrieblichen und branchenweiten Interessen ebenso entscheidend wie das Ausloten der Anforderungen an ein geeignetes Schnittstellenmanagement zwischen den beteiligten Akteur*innen.


Literatur

1.
Rothgang H, et al. Themenreport „Pflege 2030“. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung; 2012.
2.
Aiken LH, Sermeus W, Van den Heede K, Sloane DM, Busse R, McKee M, Bruyneel L, Rafferty AM, Griffiths P, Moreno-Casbas MT, Tishelman C, Scott A, Brzostek T, Kinnunen J, Schwendimann R, Heinen M, Zikos D, Sjetne IS, Smith HL, Kutney-Lee A. Patient safety, satisfaction, and quality of hospital care: cross sectional surveys of nurses and patients in 12 countries in Europe and the United States. BMJ. 2012 Mar 20;344:e1717. DOI: 10.1136/bmj.e1717 External link