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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Aktuelle Versorgungssituation von erwachsenen Menschen mit Phenylketonurie (PKU) in Deutschland

Meeting Abstract

  • André Jentsch - Hochschule Neubrandenburg - University of Applied Sciences, Diätetik, Berlin, Germany
  • Dorothee Straka - Hochschule Osnabrück, Ernährungskommunikation, Osnabrück, Germany
  • Sara Ramminger - Hochschule Neubrandenburg - University of Applied Sciences, Diätetik, Neubrandenburg, Germany
  • Luzia Valentini - Hochschule Neubrandenburg - University of Applied Sciences, Diätetik, Neubrandenburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf502

doi: 10.3205/19dkvf502, urn:nbn:de:0183-19dkvf5024

Published: October 2, 2019

© 2019 Jentsch et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland liegt die Prävalenz für Phenylketonurie (PKU) bei Neugeborenen bei 1:7000 [1]. Dabei steigt die Zahl der erwachsenen Patienten*innen durch verbesserte Therapien, wodurch sich der Fokus in der Behandlung und Beratung verändert [1].

Die Versorgungsstruktur und Gesundheitssituation von erwachsenen PKU Patienten ist in Deutschland wie auch international kaum untersucht. Internationale Veröffentlichungen zeigen im Erwachsenenalter eine eher unzureichende Adhärenz zur phenylalaninarmen Ernährung, die mit subjektiv beeinträchtigten kognitiven Funktionen, Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen eingeht [2]. Zudem scheinen erwachsene PKU-Betroffene verstärkt unter Übergewicht und Adipositas zu leiden [3]. So zeigte eine amerikanische Studie, dass 55% der Befragten einen BMI über 25 kg/m2 übergewichtig waren [4]. Eine phenylalaninarme Ernährung wie ein gesundheitsfördernder Lebensstil könnte möglicherweiser den BMI-Anstieg verhindern [4].

Fragestellung: Ziel der Studie war, den aktuellen Versorgungszustand, sowie Probleme und Wünsche erwachsener PKU-Patienten in Deutschland über eine Onlineumfrage zu erfassen.

Methodik: Diese prospektive Querschnittsuntersuchung wurde von Mai bis Juli 2018 durchgeführt. Die Entwicklung des Onlinefragebogens erfolgte vom Erstautor (A.J.) in Kooperation mit der Hochschule Osnabrück, der Hochschule Neubrandenburg, dem BerufsVerband Oecotrophologie (VDOE) und der Deutschen Interessensgemeinschaft PKU (DIG-PKU). Vor Finalisierung wurden Pretests mit 10 PKU-Betroffenen durchgeführt. Die Umfrage erfolgte anonymisiert über eine Online-Umfrage-Applikation (LimeSurvey GmbH, Version 3.0.0). Erwachsene PKU-Betroffene wurden über die DIG-PKU rekrutiert (Onlineplattform, Email-Verteiler). 114 Betroffene nahmen an der Umfrage teil, davon waren 82 Fragebögen auswertbar (Frauen: 83%, Alter: 34±9 Jahre, BMI: 27,7±6,9 kg/m²). Erfasst wurden unter anderem Daten zum Ernährungszustand, Ernährungsverhalten, sowie zur medizinischen und ernährungstherapeutischen Versorgungsituation inklusive Auftreten von PKU-assoziierten Symptomen. Offene Fragen wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Die statistische Analyse erfolgte mit SPSS 23 (IBM, Armonk, NY).

Ergebnisse: Die Mehrheit der PKU-Patienten wurden zum Zeitpunkt der Umfrage in einer Kinderklinik behandelt (46%, n=38), 23% (n=19) in Einrichtungen der Erwachsenenmedizin, 11% (n=9) in einer Arztpraxis und 6% (n=5) wurden nicht betreut. Dabei betrug durchschnittliche Entfernung zum behandelnden Zentrum 100 ± 121 km. 49% (n=40) der PKU-Patienten*innen hielten eine phenylalaninarme Diät ein, 40 % (n=33) nur teilweise und 2% (n=2) hielten keine Diät ein (9%, n=7 fehlende Antworten). Als Gründe für die Nichteinhaltung wurden hohe Kosten, psychosoziale Belastung, Verlust an Lebensqualität, fehlende Motivation und Beschwerdefreiheit genannt.

Als krankheitsassoziierte Symptome wurden am häufigsten Konzentrationsstörungen (n=31 min. gelegentlich), gefolgt von depressiven Symptomen (n=20 mindestens gelegentlich), und Angststörungen (n=19 mindestens gelegentlich) genannt. Die qualitative Analyse zeigte mehrheitliche schwierige Verhältnisse zu den betreuenden Ärzten*innen oder Ernährungsfachkräften. Hauptkritikpunkte waren, dass Kinder die Hauptzielgruppe der PKU-Therapie darstellen, ein unzureichendes alltagsrelevantes Wissen der Ärzte/ Ernährungsfachkräfte vorläge und zu wenig Zeit für die therapeutischen Gespräche zur Verfügung stehe. Insgesamt waren 31% (n=25) der PKU-Patienten übergewichtig und weitere 27% (n=22) adipös.

Diskussion: Aus Sicht der Betroffenen scheint die Versorgung von erwachsenen PKU Patienten in Deutschland sowohl räumlich, als auch inhaltlich verbesserungswürdig. Betroffene nehmen weite Wegstrecken in Kauf und fühlen sich oft nicht adäquat betreut. Des Weiteren bestätigen sich internationale Daten zum Problem des Übergewichtes bei PKU, welches bislang nicht ausreichend Beachtung fand.

Praktische Implikationen: Die Entwicklung von innovativen Betreuungsstrukturen für erwachsene PKU – möglicherweise unter Integration digitaler Techniken – wäre empfehlenswert.


Literatur

1.
Koletzko B, Hrsg. Kinder- und Jugendmedizin. Heidelberg: Springer; 2013.
2.
Ford S, O’Driscoll M, MacDonald A. Living with Phenylketonuria: Lessons from the PKU community. Mol Genet Metab Rep. 2018 Oct 18;17:57-63. DOI: 10.1016/j.ymgmr.2018.10.002 External link
3.
Burrage LC, McConnell J, Haesler R, O’Riordan MA, Sutton VR, Kerr DS, McCandless SE. High prevalence of overweight and obesity in females with phenylketonuria. Mol Genet Metab. 2012 Sep;107(1-2):43-8. DOI: 10.1016/j.ymgme.2012.07.006 External link
4.
Robertson LV, McStravick N, Ripley S, Weetch E, Donald S, Adam S, Micciche A, Boocock S, MacDonald A. Body mass index in adult patients with diet-treated phenylketonuria. J Hum Nutr Diet. 2013 Jul;26 Suppl 1:1-6. DOI: 10.1111/jhn.12054 External link