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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Versorgungsrealität von Multiple Sklerose-Patienten in Deutschland – Ergebnisse einer retrospektiven Krankenkassendatenanalyse

Meeting Abstract

  • Christine König - Xcenda GmbH, Hannover, Germany
  • Julia Altevers - Xcenda GmbH, Real World Evidence, Hannover, Germany
  • Christopher Maas - Xcenda GmbH, Real World Evidence, Hannover, Germany
  • Dominic Meise - Xcenda GmbH, Real World Evidence, Hannover, Germany
  • Martin Bierbaum - Novartis Pharma GmbH, Market Access, Nürnberg, Germany
  • Cordula Riederer - DAK-Gesundheit, Vorstandsreferat Versorgungsforschung, Hamburg, Germany
  • Stefanie Wobbe-Ribinski - DAK-Gesundheit, Vorstandsreferat Versorgungsforschung, Hamburg, Germany
  • Wolfgang Greiner - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Germany
  • Stefan Braune - Neurozentrum Prien, Neurozentrum Prien, Prien am Chiemsee, Germany
  • Dieter Pöhlau - DRK Kamillus Klinik, Fachabteilung Neurologie, Asbach, Germany
  • Arnfin Bergmann - Praxis für Neurologie & Psychotherapie, Praxis für Neurologie & Psychotherapie, Neuburg an der Donau, Germany
  • Sebastian Braun - Xcenda GmbH, Real World Evidence, Hannover, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf452

doi: 10.3205/19dkvf452, urn:nbn:de:0183-19dkvf4529

Published: October 2, 2019

© 2019 König et al.
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Text

Hintergrund: Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung von jungen Erwachsenen in Deutschland. Sie geht mit signifikanten medizinischen, sozialen und ökonomischen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft einher.

Fragestellung: Ziel dieser Studie war die Abbildung der Versorgungsrealität von MS-Patienten in Deutschland sowie die Darstellung der gesundheitsökonomischen Aspekte der Erkrankung aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne MS im Jahr 2013.

Methode: Abrechnungsdaten der DAK-Gesundheit aus den Jahren 2010 bis 2015 bildeten die Grundlage dieser retrospektiven Krankenkassendatenanalyse. Prävalente MS-Patienten wurden anhand des ICD-10-GM Codes G35.- im stationären oder ambulanten Sektor (eine stationäre Diagnose oder zwei ambulante gesicherte Diagnosen oder eine ambulante gesicherte Diagnose und eine Verschreibung eines MS-spezifischen Arzneimittels) in 2010-2013 identifiziert.

Über ein 1:1 Matching wurden die MS-Patienten mit einer Kontrollgruppe verglichen, die im Studienzeitraum keine MS-Diagnose aufwiesen. Die Matchingparameter beinhalteten Alter, Geschlecht, Versichertenstatus, Elixhauser Comorbidity Index Score, Bundesland und Wohnort im städtischen/ländlichen Raum.

Demographische Charakteristika, der Ressourcenverbrauch in den einzelnen Sektoren und die Kosten wurden für das Jahr 2013 bestimmt. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mithilfe des gepaarten t-Tests, Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests, Chi²-Tests oder McNemar-Tests auf statistische Signifikanz geprüft.

Ergebnisse: Im Jahr 2013 wurden 24.150 prävalente MS-Patienten identifiziert. Die für Deutschland alters- und geschlechtsstandardisierte Prävalenzrate betrug 416,6 pro 100.000 Versicherten. Hochgerechnet für Deutschland ergeben sich daraus 335.440 MS-Erkrankte.

93,1% der MS-Patienten konnte ein Matchingpartner zugewiesen werden. 80,3% der Betroffenen waren weiblich und das mittlere Alter betrug 52,7 Jahre (±13,6 Jahre). In Bezug auf die verschiedenen Krankheitsformen der MS wurde bei 4,8% der MS-Patienten der primär-chronische Verlauf allein oder in Kombination mit einer unspezifischen Kodierung für eine nicht näher bezeichnete MS innerhalb der Jahre 2010 bis 2013 kodiert. Für den sekundär-chronischen Verlauf traf dies auf 3,7% MS-Patienten zu.

Bei der Betrachtung der einzelnen Sektoren wurde deutlich, dass 32,6% der MS-Patienten und 22,0% der Kontrollen in 2013 mindestens einen Krankenhausaufenthalt hatten (p < 0,001).

Kortikosteroide wurden in der MS-Gruppe deutlich häufiger verschrieben (20,2% vs. 8,2%, p< 0,001). Ein ähnliches Bild zeigte sich für Antidepressiva (27,5% vs. 20,9%, p< 0,001) und Antiepileptika (16,0% vs. 6,6%, p< 0,001). 32,3% der MS-Patienten wiesen im Jahr 2013 eine Verschreibung für krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) auf.

Zu den häufigsten Hilfsmitteln in der MS-Gruppe mit einem signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe zählten Inkontinenzhilfen (18,2% vs. 2,1%, p < 0,001) und Krankenfahrzeuge wie Rollstühle (13,9% vs. 0,7%, p< 0,001). Auch Heilmittel wie Physiotherapie (55,9% vs. 29,1%, p < 0,001) wurden signifikant häufiger in der MS-Gruppe verschrieben.

Der größte Unterschied in der Inanspruchnahme zeigte sich in der Pflege (24,6% der MS-Patienten vs. 3,8% der Kontrollgruppenpatienten, p< 0,001). Auch die häusliche Krankenpflege wurde von den MS-Patienten häufiger in Anspruch genommen (7,5% vs. 1,7%, p< 0,001).

Insgesamt betrugen die Kosten im Jahr 2013 aus Sicht der GKV 14.240€ pro MS-Patient und 4.214€ pro Kontrollpatient. Demnach wies die MS-Gruppe um 10.026€ (+238%) höhere Gesamtkosten auf als die Kontrollgruppe (p < 0,001). Dieser Unterschied war v.a. auf Arzneimittelkosten (7.336€ vs. 1.075€, p< 0,001) und Pflegekosten (2.143€ vs. 241€, p< 0,001) zurückzuführen.

Diskussion: Die in dieser Studie ermittelte alters- und geschlechtsadjustierte Prävalenz liegt deutlich über bisher publizierten Ergebnissen. Die Alters- und Geschlechtsverteilung stimmt mit Angaben aus anderen Studien überein. Die Analyse des Ressourcenverbrauchs zeigt, dass MS-Patienten in Deutschland im Vergleich zu nicht von MS Betroffenen auf deutlich mehr Leistungen vor allem im stationären Sektor, der Pflege sowie Arzneimittelsektor angewiesen sind. Die erhöhte Inanspruchnahme spiegelt sich auch in den deutlich erhöhten Kosten pro Patient wider.

Praktische Implikationen: Die Prävalenz der MS wird höher eingeschätzt als bisher berichtet. Zudem verdeutlicht die Studie die mit MS einhergehende Belastung für die einzelnen Betroffenen und die Gesellschaft. Neben den Arzneimitteln spielt vor allem die Pflege eine wichtige Rolle in der Versorgung. Für die Praxis bedeutet dies, dass eine frühzeitige und umfassende Versorgung der MS-Patienten über alle Gesundheitssektoren hinweg unabdingbar ist und verbessert werden muss, um Krankheitsaktivität zu vermeiden. Dies würde mittelfristig auch zu einer Kostenreduktion führen.