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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Erkrankungslast, medizinische Versorgung und Komorbiditäten der Spondylarthritis – eine longitudinale versorgungsepidemiologische Studie basierend auf GVK-Routinedaten

Meeting Abstract

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  • Fabian Baum - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany
  • Jochen Schmitt - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Dresden, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf450

doi: 10.3205/19dkvf450, urn:nbn:de:0183-19dkvf4505

Published: October 2, 2019

© 2019 Baum et al.
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Hintergrund: Die beiden häufigsten Formen der Spondylarthritis, die Spondylitis ankylosans (SPA) und die Psoriasisarthritis (PSA) verlaufen progressiv, sind mit einer Prävalenz von >1% relativ häufig, mit unterschiedlichen Komorbiditäten assoziiert und führen oft zu Arbeitsunfähigkeit und verminderter Produktivität der Betroffenen. Aufgrund der damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen und Schmerzen sind die betroffenen Patienten häufig massiv in ihrer Lebensqualität und ihrer Funktionalität eingeschränkt.

Fragestellungen: Wie hoch ist die geschätzte Jahresprävalenz und -inzidenz der PSA und SPA in der Routineversorgung? Welche medikamentöse Therapie erhalten Patienten mit PSA und SPA in der Routineversorgung? Welche kardiovaskulären, psychischen und andere Komorbiditäten haben Patienten mit PSA und SPA in der Routineversorgung? Ist das relative Erkrankungsrisiko hier in den Patientenkohorten höher als in der Kontrollkohorte?

Methoden: Es handelt sich um eine longitudinale Kohortenstudie basierend anonymisierten ambulanten und stationären GKV-Routinedaten sächsischer Versicherter der AOK PLUS der Jahre 2008 bis 2014. Die Patientenkohorte bilden dabei Personen mit SPA bzw. PSA – Diagnose (M2Q-Kriterium), alle anderen Personen sind der Kontrollgruppe zugeordnet. Die Kohorte der PSA-Patienten wird dabei noch stratifiziert in Patienten mit und ohne komorbider Psoriasis vulgaris (PSA+PSV). Prävalenzen und Inzidenzen wurden über den Beobachtungszeitraum auf Basis der Inanspruchnahme stationärer und ambulanter medizinischer Leistungen geschätzt. Des Weiteren wurden Häufigkeitsanalysen hinsichtlich der erfolgten medikamentösen Therapie bei Patienten mit PSA und SPA durchgeführt. Hinsichtlich der Komorbiditäten wurden multivariate Poissonregressionsmodelle gerechnet, um das relative Risiko (RR) des Auftretens dieser Erkrankungen in den Patientenkohorten im Vergleich zur Kontrollkohorte zu berechnen.

Ergebnisse: Die Gesamtprävalenz für beide Arthritisformen zusammen lag im Gesamtbeobachtungszeitraum von 2009 bis 2014 bei 0,77%. Dabei war die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bei Männern höher als bei Frauen, bei PSA war es umgekehrt. Sowohl Prävalenz- als auch Inzidenzraten erhöhen sich innerhalb der Altersstrata. Hinsichtlich der systemischen Therapie erhielten fast alle Patienten mindestens einmal ein Basistherapeutikum aus der Gruppe der Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), fast die Hälfte erhielt weiterhin Corticosteroide sowie Immunsuppressiva. Etwa 12% (SPA) bzw. 17% (PSA) und 19% (PSA+PSV) der Patienten erhielten darüber hinaus mindestens einmal ein Biologikum. Die multivariate Poissonregression ergab fast durchgängig eine erhöhte Krankheitshäufigkeit bei Patienten mit SPA und PSA gegenüber der Kontrollkohorte innerhalb aller drei Komorbiditätsgruppen (psychische, kardiovaskuläre und andere somatische Komorbiditäten).

Diskussion: Vergleiche der Prävalenzraten mit Angaben aus der Literatur zeigen, dass Schätzungen auf Basis von GKV-Routinedaten plausibel und valide sein können. Bei den geschätzten Inzidenzraten hängt die Genauigkeit maßgeblich vom definierten krankheitsfreien Vorlauf ab, also der Zeitraum, den ein Patient vor erstmaligem Kodieren der Krankheit diagnosefrei abgebildet werden kann. Hier könnten Datenlimitationen, die die mögliche Vorbeobachtungszeit beschränken zur Überschätzung der Inzidenzraten führen. Bei der systemischen Therapie findet sich eine Häufigkeitsverteilung in der Verschreibung der Medikamente, die in etwa die Bedeutung der Wirkstoffe in der Behandlung widerspiegelt. Eine Besonderheit ist die gleichzeitige Verschreibung von TNF-Blockern und Immunsuppressiva. Studien legen hier nahe, dass die durch Immunsuppressiva unterdrückte Antikörperbildung die therapeutische Wirkung dieser Biologika verbessert werden kann. Hinsichtlich der Komorbiditätsraten müssen hinsichtlich der fast durchweg signifikant erhöhten Risiken Überlegungen zur Bedeutung dieser Effekte angestellt werden. Gerade in großen Datensätzen können auch kleine Effekte die Signifikanzschwelle schnell überschreiten. Weitergehende Analysen (Netzwerkmodelle) könnten Aufschluss darüber geben, ob die Effekte beispielsweise insbesondere durch eine kleine Subgruppe multimorbider Patienten hervorgerufen werden.

Praktische Implikationen: Klinische Studien und Register sind bezüglich der Übertragbarkeit auf die Versorgungsroutine begrenzt. Die vorliegende Studie bietet die Möglichkeit die medizinische Versorgung und Behandlung gerade im niedergelassenen Bereich, der mehrheitlich oft nicht in Studien oder Registeraktivitäten involviert ist, zu untersuchen. Dies stellt einen entscheidenden Vorteil in der Beantwortung der Frage dar, ob und inwieweit beispielsweise Leitlinienempfehlungen und Evidenz aus Studien von Klinikern in der alltäglichen Praxis umgesetzt werden und dort zu einen Mehrwert für die behandelten Patienten führen.