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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Das subjektive Behandlungskonzept von Rehabilitanden in der Psychosomatik – eine qualitative Analyse

Meeting Abstract

  • Rieka von der Warth - Universitätsklinikum Freiburg, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung, Freiburg im Breisgau, Germany
  • Anne Nau - Universitätsklinikum Freiburg, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung, Freiburg im Breisgau, Germany
  • Matthias Rudolph - Mittelrhein-Klinik Boppard-Bad-Salzig, Abteilung für Psychosomatik, Boppard-Bad Salzig, Germany
  • Matthias Stapel - Deutsche Rentenversicherung, Rheinland-Pfalz, Speyer, Germany
  • Jürgen Bengel - Universität Freiburg, Abteilung Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg im Breisgau, Germany
  • Manuela Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung, Freiburg im Breisgau, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf428

doi: 10.3205/19dkvf428, urn:nbn:de:0183-19dkvf4287

Published: October 2, 2019

© 2019 von der Warth et al.
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Text

Hintergrund: Die Effektivität der psychosomatischen Rehabilitation gilt als gesichert. Dennoch gibt es einen nicht unerheblichen Anteil von 20–30% der Patienten, die als Non-Responder gelten und die Rehabilitation vorzeitig beenden. Studien zeigen, dass subjektive Krankheits- und Behandlungskonzepte Prädiktoren gesundheitsbezogener Outcomes und der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sind. Während es bereits etablierte Assessmentinstrumente zur Operationalisierung des subjektiven Krankheitskonzepts und des subjektiven medikamentösen Behandlungskonzepts gibt, existiert bislang kein indikationsspezifisches Erhebungsinstrument zur Operationalisierung des subjektiven Reha-bezogenen Behandlungskonzepts. Ziel unserer Studie ist es daher, auf Basis des Common Sense-Selbstregulationsmodells, literaturbasiert und unter Einbezug der Betroffenenperspektive ein Instrument zur Erhebung des subjektiven Reha-bezogenen Behandlungskonzepts für den Indikationsbereich Psychosomatik zu entwickeln.

Fragestellung: Im vorliegenden Beitrag wird das subjektive Reha-bezogene Behandlungskonzept von Rehabilitanden in der Psychosomatik vor Reha-Beginn exploriert.

Methode: Im September/Oktober 2018 wurden 10 leitfadengestützte Telefoninterviews mit Personen durchgeführt, welche zeitnah eine psychosomatische Rehabilitation beginnen sollten. Die Stichprobenziehung erfolgte deduktiv, mit dem Ziel einer möglichst heterogenen Stichprobe anhand der Kriterien Alter und Geschlecht. Der basierend auf der einschlägigen Literatur entwickelte strukturierte Interviewleitfaden begann mit einem offenen Erzählteil sowie einem Nachfrageteil zu den Erwartungen an die Klinikstrukturen, die Reha-Prozesse, sowie Reha-Ergebnisse und Befürchtungen im Hinblick auf die Rehabilitation. Alle Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet und transkribiert. Die inhaltsanalytische Auswertung erfolgte mit der Software MAXQDA 18. Kategorien wurden zunächst deduktiv dem Interviewleitfaden entnommen und in einem iterativen Prozess induktiv angepasst. Für die Auswertung wurde ein Kodiersystem mit Kodierregeln erstellt.

Ergebnisse: Im Durchschnitt waren die Teilnehmer zum Zeitpunkt des Interviews 48,3 Jahre alt (SD=9,42). Die Stichprobe bestand aus fünf Männer und fünf Frauen. Die Diagnosen waren breit gestreut. Insgesamt wurden 29 Unterkategorien definiert, welche sich acht Oberkategorien zuordnen lassen (Kontakt mit Mitpatienten, (strukturelle) Bedingungen in der Klinik, Gestaltung der Therapieprozesse, Organisation der Therapie, Inhalte der Therapie, Ergebnisse der Reha, Erwartungen an sich selbst und Befürchtungen). Beispielhaft werden nachfolgend Inhalte der Oberkategorien dargestellt. Der Kontakt mit Mitpatienten wurde von manchen Rehabilitanden als hilfreich und von anderen als eher hinderlich für die anstehende Rehabilitation thematisiert. Die häufigste Erwartung an die strukturellen Bedingungen in der Klinik bezog sich auf die personelle Ausstattung, wobei ein fester Ansprechpartner den Interviewten besonders wichtig war. Die häufigste Erwartung an die Organisation der Therapie fokussierte auf den Tagesablauf bzw. Therapieplan, wobei zwar ein strukturierter Tagesablauf mit festen Zeiten erwartet wurde, ohne jedoch überfordert zu werden. Bezogen auf die Inhalte der Therapie wurden besonders häufig Sport sowie Einzelpsychotherapie erwartet. Bzgl. der Gestaltung der Therapieprozesse erwarteten die Interviewpartner insbesondere, dass die Therapie individuell auf sie abgestimmt sei. Als Ergebnisse der Reha wurden – neben psychischer und körperlicher Symptomreduktion – eine berufliche Reintegration, aber auch die Erwartung, durch die Reha eine Erwerbsminderungsrente zu erreichen, geäußert. An sich selbst stellten die Interviewpartner vornehmlich die Erwartung, dass man sich auf die Behandlungen und Anwendungen in der Reha einlasse. Die unspezifische Befürchtung einer Überforderung in der Reha wurde in dieser Oberkategorie am häufigsten geäußert.

Diskussion: In den Interviews wurde das subjektive Reha-bezogene Behandlungskonzept über die Erwartungen an die Behandlung erfragt. Es konnte eine große Bandbreite an Erwartungen identifiziert werden. Die Kategorien zeigen deutlich indikationsspezifische Besonderheiten des Reha-bezogenen Behandlungskonzepts in der Psychosomatik auf (z.B. Erwartung einer ganzheitlichen Behandlung). Zudem wurden von den Rehabilitanden häufig Erwartungen an sich selbst thematisiert, die für das Reha-bezogene Behandlungskonzept unserer Stichprobe von Bedeutung waren.

Praktische Implikationen: Auf Basis der Ergebnisse wird ein Fragebogen zur Erfassung des subjektiven Reha-bezogenen Behandlungskonzepts in der Psychosomatik entwickelt, der genutzt werden kann, um die Erwartungen von Rehabilitanden frühzeitig zu identifizieren und über gezielte Interventionen für die Behandlung nutzbar zu machen. Langfristiges Ziel ist es, über die Thematisierung von Fehlerwartungen die Behandlungszufriedenheit sowie das Reha-Outcome der Rehabilitanden zu verbessern.