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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Das Matching von klinischen Studien- mit Versichertendaten: Ein innovativer Ansatz am Beispiel eines endovaskulären Dialyseshunts

Meeting Abstract

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  • Lisa Zimmermann - Gesundheitsforen Leipzig GmbH, Analytik, Leipzig, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf337

doi: 10.3205/19dkvf337, urn:nbn:de:0183-19dkvf3377

Published: October 2, 2019

© 2019 Zimmermann.
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Hintergrund: Einige neue Verfahren in der Medizin versprechen einen besseren Outcome, gehen jedoch häufig mit höheren Behandlungskosten einher. Die Nachweisführung des Zusatznutzens erfolgt meist mit randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) als Goldstandard, welche aufwändig sind und kaum den ökonomischen Nutzen betrachten. Sicherheit und Wirksamkeit werden eher in Studien untersucht, welchen ein prospektiver Kontrollarm fehlt.

Ein Lösungsweg aus diesem Innovationsdilemma kann das Matching von einer bestehenden „single-arm“-Studie mit Versichertendaten unter Verwendung eines Propensity-Score-Matchings sein. Mit diesem neuen Ansatz können statistische Zwillinge aus verschiedenen Datenquellen ermittelt werden, um ökonomische Einschätzungen treffen zu können. Aktuelles Beispiel ist die Studie der inspiring-health GmbH mit der Gesundheitsforen Leipzig GmbH, welche ein neues Verfahren zur Anlage eines Dialyseshunts auf seine ökonomischen Vorteile gegenüber der herkömmlichen Therapie hin untersucht.

Fragestellung: Die Studienlage der endovaskulären Arterio-Venösen-Fistel (endoAVF) zeigt eine hohe primäre Erfolgsrate bei geringen Folgekomplikationen. Ist diese auch eine wirtschaftlichere Alternative gegenüber der herkömmlichen chirurgischen Shunt-Anlage (chir. AVF)? Daten zur klinischen Wirksamkeit und Sicherheit der endoAVF liegen aus dem „Novel Endovascular Access Trial“ (NEAT) vor. Hierbei wurden 60 Patienten mit endoAVF behandelt und 1 Jahr nachverfolgt. Deren Ergebnisse sollen nun für Deutschland anhand von Sekundärdaten aus der Analysedatenbank der Gesundheitsforen Leipzig evaluiert werden. Diese beruhte zum Zeitpunkt der Durchführung auf einem repräsentativen Datenbestand von über 1,5 Mio. GKV-Versicherten verschiedener Kassen. Endpunkte der Analyse sind Häufigkeit und Kosten postoperativer Ereignisse sowie Gesamtkosten der Patienten in einem Jahr. Darüber hinaus soll die Zeit bis zum ersten postoperativen Ereignis für die beiden Verfahren verglichen werden.

Methode: Die Studiendaten der NEAT-Population wurden zunächst in ICD-10- GM, DRG- bzw. OPS-Codes übersetzt. Darauf basierend wurden n=290 volljährige Versicherte mit chir. AVF und Dialyse innerhalb eines Nachbeobachtungsjahres aus der Analysedatenbank der Gesundheitsforen Leipzig ermittelt. Mit Hilfe eines Propensity Scores wurde jedem der 60 Probanden aus der NEAT-Studie ein statistischer Zwilling aus der Grundpopulation der Analysedatenbank zugeordnet (1:1-Matching ohne Zurücklegen). Matchingkriterien waren verschiedene Patientencharakteristika mit Fokus auf Risikofaktoren, die bei einem Individuum die Expositionswahrscheinlichkeit für ein postoperatives Ereignis beeinflussen (Confounder).

Ergebnisse: Es erfolgte ein Outcomevergleich postoperativer Komplikationen zwischen NEAT und Vergleichsgruppe. Es zeigte sich eine signifikant höhere Anzahl postoperativer Komplikationen für Patienten mit chir. AVF bei Infektionen durch Katheter (pFDR < 0,05), Revisionen (pFDR < 0,01) und der Gesamtanzahl postoperativer Komplikationen (Fälle, pFDR < 0,001), wobei der pFDR-Wert einen für multiples Testen mittels Benjamini-Hochberg-Methode korrigierten Signifikanzwert darstellt.

Der Kostenvergleich bestätigte zunächst signifikant höhere Kosten des Ersteingriffs bei endoAVF gegenüber chir. AVF (Median 7.278 € vs. 3.303 € mit pFDR < 0,001), aber zeigte signifikant niedrigere Kosten für postoperative Komplikationen im ersten Jahr nach Behandlung (Median 0€ vs. 3.148 € mit pFDR < 0,01). In Summe ergab sich kein signifikanter Gesamtkostenunterschied zwischen endoAVF und chir. AVF (Median 6.709 € vs. 7.325 €).

Der Vergleich der Dauer bis zum Eintreten des ersten postoperativen Ereignisses zeigte, dass bei Patienten mit endoAVF postoperative Ereignisse signifikant später eintreten (Mittelwert 257,9 Tage (endoAVF) vs. 146,7 Tage (chir. AVF)).

Diskussion: Das neue Verfahren endoAVF weist im deutschen Versorgungssystem nur halb so viele Komplikationen wie chir. AVF auf. Die Behandlung von Komplikationen ist in der chir. AVF Gruppe signifikant teurer. Insgesamt gibt es keinen signifikanten Kostenunterschied zwischen beiden Methoden, sodass man mit endoAVF zu gleichen ökonomischen Bedingungen geringere Komplikationsraten und Patientensicherheit zu verzeichnen hat.

Praktische Implikationen: Das Verfahren der Datenvergleiche mittels „statistischer Zwillinge“ aus Kassendaten ist geeignet, um klinische und ökonomische Evaluationen neuer Verfahren durchzuführen. Die Versichertendaten bilden einen Kontrollarm zu Studiendaten in Anlehnung an ein RCT und Confounder lassen sich durch das aufwändige Propensity-Score Matching-entsprechend kontrollieren. Die Methode stellt eine solide Möglichkeit dar, um bei ähnlichem Versorgungskontext der Studien- und Versichertendaten auch die Wirtschaftlichkeit neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu bewerten, wobei zunächst immer eine medizinische Bewertung erfolgen sollte.