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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Evaluation von Modellvorhaben für sektorenübergreifende Versorgung psychisch kranker Menschen nach §64b SGB V (EVA64) – erste Ergebnisse der gesundheitsökonomischen Evaluation über ein 3-jähriges Follow-up

Meeting Abstract

  • Christopher Schrey - WIG2 Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Gesundheitsökonomie / Evaluation, Leipzig, Germany
  • Roman Kliemt - WIG2 Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Gesundheitsökonomie / Evaluation, Leipzig, Germany
  • Anne Neumann - Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany
  • Fabian Baum - Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany
  • Olaf Schoffer - Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany
  • Martin Seifert - Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany
  • Stefanie March - Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Magdeburg, Germany
  • Andrea Pfennig - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Dresden, Germany
  • Enno Swart - Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Magdeburg, Germany
  • Jochen Schmitt - Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany
  • Dennis Häckl - WIG2 Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Gesundheitsökonomie / Evaluation, Leipzig, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf190

doi: 10.3205/19dkvf190, urn:nbn:de:0183-19dkvf1906

Published: October 2, 2019

© 2019 Schrey et al.
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Text

Hintergrund: Seit 2013 werden im Rahmen von §64b SGB V in nunmehr 21 Modellvorhaben – von denen 18 Teil der bundeseinheitlichen Evaluation (EVA64) sind – Möglichkeiten einer sektorenübergreifenden und patientenzentrierten psychiatrischen Versorgung erprobt. Ferner soll die fragmentierte Finanzierung durch Bildung eines Gesamtbudgets aus stationärem Krankenhausbudget und den Erlösen der Psychiatrischen Institutsambulanz überwunden werden. Gemäß §65 SGB V sind alle Modellvorhaben zu evaluieren.

Fragestellung: Ziel dieser Evaluation ist die Messung von Effektivität, Kosten und Effizienz von Modellvorhaben nach §64b SGB V zur Verbesserung der Versorgung von Personen mit psychischen Erkrankungen. Im Fokus des eingereichten Beitrages stehen dabei die Kosten der psychiatrischen Versorgung, die Effizienz im Sinne des Verhältnisses aus eingesetzten Ressourcen und klinischen Outcomes sowie die Kostenstrukturen über einzelne Leistungsbereiche.

Methoden: Bei der Studie handelt es sich um eine sekundärdatenbasierte, nicht randomisierte, kontrollierte Kohortenstudie. Dabei werden zur Auswertung den Patienten der Interventionsgruppe (IG; Patienten der Modellklinik) geeignete Kontrollpatienten (KG; Patienten der Kontrollkliniken, i.e. Regelversorgung) über ein zweistufiges Matchingverfahren gegenübergestellt. Datengrundlage für die Analyse bilden anonymisierte, versichertenbezogene Stamm- und Leistungsdaten zu Diagnosen, Prozeduren sowie Entgelten von stationären und ambulant im Krankenhaus durchgeführten Behandlungen von mehr als 70 gesetzlichen Krankenkassen. Weiterhin standen Daten zu Diagnosen und abgerechneten Gebührenziffern des vertragsärztlichen Bereichs, zu Arznei- und Heilmitteln sowie zu Arbeitsunfähigkeit (AU) zur Verfügung. Zur Messung der Behandlungsqualität wurden die primären Outcomes der stationären Behandlungstage sowie der AU-Tage untersucht. Zusätzlich wurde u.a. die Inanspruchnahme ambulanter Leistungen analysiert. Zentrales Outcome der gesundheitsökonomischen Analyse sind die aus Perspektive der Krankenkassen entstehenden Kosten der psychiatrischen Behandlung sowie die Kosteneffektivität der Modelle.

Die Analyse berücksichtigt derzeit den patientenindividuellen Zeitraum von einem Jahr vor Interventionsbeginn sowie einen dreijährigen Nachbeobachtungszeitraum. Unterschiedliche Ausgangsniveaus der Outcomes zwischen Modell- und Kontrollkliniken werden durch eine Difference-in-Difference-Betrachtung berücksichtigt.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse der Kohorte derjenigen Patienten, die im ersten Modelljahr in die Studie eingeschlossen wurden und vor Einschluss keinen Kontakt mit der behandelnden Klinik hatten, deuten darauf hin, dass die durchschnittlichen psychiatrischen Versorgungskosten insgesamt über den gesamten Nachbeobachtungszeitraum von drei Jahren hinweg als auch in jedem einzelnen Nachbeobachtungsjahr in der IG – trotz erheblicher Heterogenität der Ergebnisse auf Klinikebene – im Mittel geringer als in der KG sind. In beiden Gruppen zeigte sich für das erste Nachbeobachtungsjahr ein Anstieg der Versorgungskosten und daran anschließend einen Rückgang der Kosten auf ungefähr den doppelten Wert des Ausgangsniveaus. In der IG erfolgte eine Verlagerung der Kosten vom voll- in den teilstationären bzw. ambulanten Bereich. Da in fast allen Modellkliniken eine Reduktion der vollstationären Behandlungstage und der AU-Tage gegenüber der Kontrollgruppe erreicht wurde, kann zunächst von einer kosteneffektiven Mittelverwendung ausgegangen werden. Die Analyse der Patienten mit Studieneinschluss im dritten Modelljahr bestätigt diese Ergebnisse zusätzlich.

Diskussion: Eine abschließende übergreifende Bewertung bzgl. der Kosten ist derzeit noch nicht möglich. So lassen sich neben der insgesamt hohen Heterogenität der Effekte auf Modellebene in einigen Modellvorhaben Preiseffekte erkennen, bei denen Ausgleichszahlungen aus dem Zeitraum vor Modellbeginn die Kosten des ersten Jahres beeinflussen. Das Herausrechnen der Ausgleichszahlungen ist jedoch unter der momentan verwendeten Methodik nicht möglich. Für die Abschlussberichte ist eine Anpassung der Methodik geplant, um diese Verzerrungen adäquat zu berücksichtigen. Eine endgültige Aussage zur Kosteneffektivität ist für das erste Jahr nach Modellbeginn aus genannten Gründen ebenfalls nur sehr eingeschränkt möglich. Dennoch lässt sich ein Trend zur kostengünstigeren und kosteneffektiveren Versorgung erkennen.

Praktische Implikationen: Das Projekt EVA64 untersucht Effizienz, Kosten und Effektivität von Modellprojekten. Sollten sich die Modellprojekte als effektiv und effizient gegenüber der Routineversorgung erweisen, trägt diese Evaluation dazu bei, eine mögliche Neustrukturierung der psychiatrischen Versorgung und ihrer Finanzierung wissenschaftlich zu untermauern.