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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Die Expertensicht auf die Versorgung von Menschen am Lebensende – eine explorative Studie in niedersächsischen Landkreisen

Meeting Abstract

  • Sophie Schrader - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, OE 5440, Hannover, Germany
  • Katharina van Baal - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, Hannover, Germany
  • Nils Schneider - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, Hannover, Germany
  • Kambiz Afshar - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, Hannover, Germany
  • Gabriele Müller-Mundt - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, Hannover, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf180

doi: 10.3205/19dkvf180, urn:nbn:de:0183-19dkvf1808

Published: October 2, 2019

© 2019 Schrader et al.
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Text

Hintergrund: Etwa 80-90% der Menschen mit chronisch-progredienten Erkrankungen können am Lebensende im Rahmen der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung angemessen betreut werden. Grundsätzlich sind in Deutschland Strukturen vorhanden, die eine Begleitung am Lebensende dem individuellen Patientenwunsch entsprechend ermöglichen. Die Realisierung hängt jedoch auch von der regionalen Infrastruktur und Verfügbarkeit z.B. von Hausärzt*innen und spezialisierten Diensten ab. Die vom Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderte Interventionsstudie „Optimale Versorgung am Lebensende – OPAL“ (Förderkennzeichen: 01VSF17028) hat daher zum Ziel, ausgehend von einer Bestandsaufnahme der aktuellen Versorgungssituation die Versorgung von Menschen am Lebensende in zwei ausgewählten Regionen in Niedersachsen mit einer gemischt städtisch-ländlichen Struktur weiterzuentwickeln. In dem Beitrag werden erste Ergebnisse der vorgeschalteten Ist-Analyse vorgestellt.

Fragestellungen: Wie stellt sich die aktuelle Versorgungssituation und Versorgungspraxis von Menschen am Lebensende in zwei niedersächsischen Landkreisen dar?

Methode: Die Studie „Optimale Versorgung am Lebensende – OPAL“ ist eine Interventionsstudie im prä-post-Design mit einem Mixed-Methods-Ansatz. Teil der Baseline-Erhebung t0 ist eine Expertenbefragung zur aktuellen Versorgungssituation in zwei Projektregionen. Als Expert*innen wurden im Herbst/Winter 2018/19 Schlüsselakteure rekrutiert, die durch ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Positionen innerhalb der regionalen Versorgungsstrukturen leitend oder koordinierend mit Bezug zur Versorgung von Menschen am Lebensende tätig sind und an den Schnittstellen zur hausärztlichen Versorgung stehen. Die leitfadengestützten Interviews wurden von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen face-to-face durchgeführt und aufgezeichnet. Die im Leitfaden abgesteckten übergeordneten Themen konzentrieren sich auf die Infrastruktur, auf die derzeitige Versorgungssituation sowie die Vernetzung der professionellen Akteure und der Gesundheitseinrichtungen in den Regionen. Die Aufzeichnungen wurden nach der Erhebung transkribiert und anonymisiert. Anschließend wurde das Transkript durch eine qualitative Inhaltsanalyse für Experteninterviews und unter Anwendung der Software MAXQDA aufbereitet und inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei wurde ein deduktiv-induktives Verfahren gewählt, d.h. das Codeschema wurde durch zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen ausgehend von den im Leitfaden abgesteckten Themen erarbeitet und ergänzend im Rahmen der Analyse am Material entwickelt.

Ergebnisse: Durchgeführt wurden 20 Experteninterviews, davon sieben als Tandeminterviews und ein Gruppeninterview mit 28 Expert*innen (75% weiblich) aus Hospizen, Kliniken, Hospizvereinen, Pflegediensten, Sozialen Diensten, Palliativnetzwerken, Palliativstützpunkten, Diensten der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, der Selbsthilfe, der Seelsorge sowie Alten- und Pflegeheimen. Im Hinblick auf die Analysekategorien der Versorgungskoordination und Versorgungssituation der Betroffenen und der Angehörigen zeichnen sich aus Expertensicht nahezu durchgängig Aufklärungsdefizite seitens der hausärztlichen Praxis über entlastende und weiterführende Versorgungsangebote ab. Entsprechende Informationen und Zugänge zu den jeweiligen Einrichtungen erlangen die Betroffenen und Angehörigen demnach eher auf Eigeninitiative als auf Vermittlung von hausärztlicher Seite. Auf der Ebene der Versorgungspraxis verdichtet sich das Bild, das die Gestaltung der Versorgungskoordination zwischen den Einrichtungen hin zu einer zentralen Steuerung ein wesentlicher Faktor für einen effizienten Versorgungsablauf und eine frühzeitige sowie angemessene Versorgung ist.

Diskussion: Die Ergebnisse fokussieren auf die Erfordernisse der professions- und sektorenübergreifenden Kooperation und eine gut strukturierte Versorgungskoordination in der ambulanten Palliativversorgung. Die Schaffung eines zentralen Koordinationsstützpunktes auf Landkreisebene als Anlaufstelle für Praktizierende, Betroffene und Angehörige findet deutlich Zustimmung. Eine daraus resultierende strukturierte sowie frühzeitige Einleitung palliativer Maßnahmen kann zu einer angemessenen Versorgung von Menschen am Lebensende und Betreuung der Angehörigen beitragen.

Praktische Implikation: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Bedürfnisse und Bedarfe von Patient*innen mit unheilbaren, fortgeschrittenen Erkrankungen in hausärztlichen Praxen systematisch identifiziert werden sollten, um patientenorientierte Maßnahmen einleiten und im Kontext der regional verfügbaren Versorgungsangebote koordinieren zu können.