gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Partizipative Entwicklung und Implementierung einer multimodalen Intervention zur Förderung von Bewegungskompetenzen und körperlicher Aktivität von Menschen mit geistiger Behinderung

Meeting Abstract

Search Medline for

  • Dirk Bruland - FH Bielefeld, InBVG, Bielefeld, Germany
  • Änne-Dörte Latteck - FH Bielefeld, InBVG, Bielefeld, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf040

doi: 10.3205/19dkvf040, urn:nbn:de:0183-19dkvf0404

Published: October 2, 2019

© 2019 Bruland et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Erkrankungen und Beschwerden des Haltungs- und Bewegungsapparats zählen zu den häufigsten Leiden in Deutschland und verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten. Zugleich gehören Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit, z. B. der Gehfähigkeit zu den zentralen Risikofaktoren für Pflegebedürftigkeit und sind mit weiteren Risikofaktoren wie Übergewicht bzw. Adipositas und Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert. Bei Menschen mit geistiger Behinderung (MmgB) treten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zahlreiche Beeinträchtigungen und Erkrankungen häufiger und oftmals früher im Lebensverlauf auf. Auch ist die Lebenserwartung von MmgB in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Somit kann eine erhöhte Präsenz für altersbedingte Erkrankungen in dieser Bevölkerungsgruppe nachgewiesen werden. In der Folge kommt es zu einem steigenden Pflegebedarf und zu einem wachsenden Bedarf an pflegerischer Betreuung bei der Versorgung dieser Zielgruppe. Durch die Heterogenität von MmgB und durch ihren Unterstützungsbedarf ist die Zielgruppe aus vielen Gesundheitsprogrammen ausgenommen. An dieser Leerstelle setzt das Forschungsprojekt „Förderung der Bewegungskompetenzen von Menschen mit geistiger Behinderung“ partizipativ an.

Fragestellung: Interventionen zur Förderung von Bewegungskompetenzen und körperlichen Aktivität im Alltag führen zu positiven Effekten auf das Bewegungsverhalten und somit auf die Bewegungsfähigkeit, den Haltungs- und Bewegungsapparat. Die Fragestellung lautet: Wie kann ein nachhaltiges Interventionskonzept zur Förderung von Bewegungskompetenzen unter dem Fokus von Partizipation und Lebensweltbezug der Zielgruppe entwickelt und implementiert werden?

Methoden: Vier Forschungsmodule zur Erfassung individueller und institutioneller Eigenschaften werden umgesetzt: a) internationales Scoping Review zu Konzepten und Interventionen zur Förderung von Bewegungskompetenzen und körperlicher Aktivität bei MmgB, b) Befragung von 25 MmgB als potentielle Nutzer*innen zu Kompetenzen, Erfahrungen und Strategien im Alltag, c) Teilnehmende Beobachtung der Zielgruppe und d) Dokumentenanalyse (Sozial- und Verlaufsberichte) beim Praxispartner. Auf Grundlage der Ergebnisse erfolgt die bedarfsorientierte Entwicklung des Interventionskonzepts. Die Forschung und Entwicklung wird durch zwei partizipative Arbeitsgruppen befördert (Planungs-Gruppe und Forscher-AG).

Ergebnisse: Zum Konferenzzeitpunkt werden Ergebnisse zu folgenden Themen präsentiert:

  • Übersicht über aktuellen Forschungsstand und -desiderata (Scoping Review),
  • Ergebnisse über zielgruppenspezifische Vorstellungen, Sinn- und Relevanzstrukturen von Bewegung und Gesundheit,
  • Analyseergebnisse von Interventionselementen zur Entwicklung eines multimodalen Interventionskonzepts (Module basieren u.a. auf dem Modell der bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz).

Diskussion: Das Wissen über die evidenzgeleitete Entwicklung und Implementierung von Maßnahmen ist eine wichtige Ressource der Versorgungsforschung. Gerade Gesundheitsförderung und Prävention nehmen perspektivisch eine besondere Bedeutung ein. Benötigt werden Ansätze, die der Heterogenität von MmgB Rechnung tragen und darauf ausgerichtet sind, Gesundheit nachhaltig zu fördern. In mehreren Studien ist bei dieser Bevölkerungsgruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein ungesunder Lebensstil gerade im Bereich Bewegung nachgewiesen. Der Ansatz der Kompetenzförderung erscheint daher vielversprechend.

Durch die Förderung von gesundheitsbezogenen Bewegungskompetenzen und körperlicher Aktivität im Alltag können für MmgB Krankheitsrisiken minimiert, bestehende Erkrankungen besser bewältigt und Krankheitsverläufe positiv beeinflusst werden. Es ist davon auszugehen, dass Präventionskonzepte eine höhere Akzeptanz in der Zielgruppe finden, wenn lebensweltliches Wissen und Bedürfnisse im gesamten Prozess einbezogen werden und im Alltag gut umsetzbar sind (Treppe statt Aufzug). Es stehen in der Diskussion Fragen der Implementierung im Vordergrund; Passung zur Lebenswelt der Nutzer*innen und zur Alltagskultur der Einrichtungen, Akzeptanz und Anwenderfreundlichkeit sowie Nachhaltigkeit. Anhand der vorzustellenden Ergebnisse wird diskutiert: a) durch welche konkreten Maßnahmen und Angebote die Zielgruppe befähigt wird; b) ob, wie und wodurch das Interventionskonzept wirkt.

Praktische Implikationen: Erstmalig liegt eine multimodale, partizipativ entwickelte Intervention zur Steigerung der körperlichen Aktivität für MmgB vor, die sowohl Gesundheitskompetenz als auch das Handeln der MmgB adressiert. Diese unterstützt MmgB und MitarbeiterInnen der Eingliederungshilfe mit dem Ziel, die Gesundheit durch körperliche Aktivität zu steigern. Hierdurch werden nachhaltige Effekte auf die Bewegungsfähigkeit wie Erhalt von Muskeln, Koordinationsfähigkeit sowie Reduktion von Stürzen und Sturzfolgen erwartet sowie das spätere Eintreten von Pflegebedürftigkeit bzw. die Minimierung deren Ausprägung.