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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Telemedizin verbessert die Lebensqualität von Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen. Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten Studie Tecla

Meeting Abstract

  • Ulrike Stentzel - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abt. Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald, Germany
  • Neeltje van den Berg - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald, Germany
  • Lara Schulze - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Germany
  • Josephine Schulte - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Germany
  • Jens Langosch - Evangelisches Krankenhaus Bethanien, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Greifswald, Germany
  • Wolfgang Hoffmann - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald, Germany
  • Hans Grabe - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf031

doi: 10.3205/19dkvf031, urn:nbn:de:0183-19dkvf0312

Published: October 2, 2019

© 2019 Stentzel et al.
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Hintergrund: Schizophrenie und bipolare Störungen sind schwere psychiatrische Erkrankungen mit einer hohen Krankheitslast, einer hohen Anzahl an beeinträchtigten Lebensjahren (years of life lived with disability (YLD)) und einem hohen Risiko für Rückfälle (akute psychotische Schübe) und (Re-)Hospitalisierung. Zusätzlich haben Patienten oft eine reduzierte Lebensqualität. Eine niedrige Lebensqualität ist ein Prädiktor für Rückfälle. Daher ist die Lebensqualität ein wichtiger Aspekt für das Erreichen eines stabilen Gesundheitszustands von Patienten mit Schizophrenie und bipolaren Störungen.

Fragestellung: Es wurde untersucht, ob eine regelmäßige telemedizinische Versorgung die Lebensqualität von Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen verbessern kann. Untersucht wurde die Fragestellung anhand folgender Hypothese: Teilnehmer der Tecla-Studie, die der Interventionsgruppe zugeordnet waren und zusätzlich zu ihrer üblichen ambulanten Versorgung eine telemedizinische Versorgung erhielten, weisen nach sechs Monaten eine bessere Lebensqualität auf, als Patienten der Kontrollgruppe, die lediglich die übliche ambulante Versorgung erhielten.

Methode: Tecla ist eine prospektive, randomisiert-kontrollierte Studie zur Evaluierung eines telemedizinischen Versorgungskonzepts für Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen. Teilnehmer wurden randomisiert der Interventions- und der Kontrollgruppe zugeordnet. Die Interventionsgruppe erhielt eine telemedizinische Betreuung in Form von regelmäßigen telefonischen strukturierten Gesprächen (Kombination aus standardisierten und individualisierten Inhalten) mit qualifizierten Pflegekräften und wöchentlichen sowohl standardisierten als auch individualisierten SMS-Nachrichten. Die Lebensqualität wurde mit der deutschen Kurzversion des Messinstruments zur Lebensqualität der World Health Organization (WHOQOL-BREF) gemessen. Dabei wurden ein Gesamtscore (range 26 – 130) und fünf Domänen-Scores (Global, Physisch, Psychisch, soziale Beziehungen und Umwelt, range 0 – 100, je höher der Score, desto höher die Lebensqualität) gebildet. Mit t-Tests wurden die Unterschiede der Lebensqualität der beiden Studiengruppen (Intervention/Kontrolle) nach 6 Monaten Beobachtungszeit ermittelt. Es wurde eine multiple Imputation zur Schätzung von fehlenden Daten durchgeführt.

Ergebnisse: Es wurden insgesamt 118 Patienten rekrutiert. Davon waren 57,6 % Männer. Das Durchschnittsalter betrug 43 (SD 13) Jahre. Bei 93 Patienten lag eine Schizophrenie vor und bei 25 Patienten eine bipolare Störung. Das sechs-Monats-Follow-Up konnte bei 90 Teilnehmern durchgeführt werden. Die Interventionsgruppe verzeichnete einen WHOQOL Gesamtscore von 93,1, die Kontrollgruppe von 89,7. Die Interventionsgruppe verzeichnete statistisch signifikant bessere Lebensqualitätswerte für den WHOQOL Gesamtsummenscore und für vier von fünf Lebensqualitätsdomänen: Global, Physisch, Psychisch und Umwelt. Die Domäne der sozialen Beziehungen war dagegen in der Kontrollgruppe signifikant besser.

Diskussion: WHOQOL-BREF ist kein krankheitsspezifisches Instrument zur Messung der Lebensqualität. Für Patienten mit Schizophrenie wurde aber eine gute Reliabilität und Validität, auch in psychotischen Stadien, unter Medikation und bei niedrigem Bildungslevel, gezeigt. Bei der Datenanalyse wurde nicht nach Diagnose (Schizophrenie/bipolare Störung) unterschieden, da beide Erkrankungen sehr ähnliche Level an Lebensqualität aufweisen. Unterschiede zeigten sich in den Domänen Global, soziale Beziehungen und Umwelt. In den Analysen gab es keine signifikanten Unterschiede der Lebensqualität nach Diagnosegruppe (Schizophrenie versus bipolare Störung) für die physische als auch für die psychische Domäne nach sechs Monaten.

Praktische Implikationen: Telemedizin ist eine niedrigschwellige Intervention, die das Potential hat, auch psychiatrische Patienten gut zu erreichen. Diese haben oft Schwierigkeiten Zugangsbarrieren (wie z.B. die Fahrt zum Psychiater/Psychotherapeuten vielleicht sogar mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, das Sitzen in einem Wartezimmer, face-to-face-Kontakte) zu überwinden. Telemedizin ist außerdem geeignet, Behandlungslücken während der Transition von einer (teil-)stationären Behandlung in eine ambulante Anschlussbehandlung aufzufangen. In einer akuten Krise kann die Telemedizin flexibler und schneller verfügbar sein. Das evaluierte telemedizinische Versorgungskonzept Tecla zeigte, dass eine zusätzlich zur üblichen Versorgung erfolgende telemedizinische Betreuung mit regelmäßigen Telefongesprächen und SMS-Nachrichten ein geeignetes Mittel ist, um die Lebensqualität von Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen zu verbessern.