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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Evaluation und erstmalige Anwendung einer app- und sensorbasierten assistiven Technologie für Angehörige von Menschen mit Demenz zum Umgang mit herausforderndem Verhalten – Ergebnisse und Erfahrungen

Meeting Abstract

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  • Sven Kernebeck - Universität Witten/ Herdecke, Fakultät für Gesundheit Lehrstuhl für Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen, Witten, Germany
  • Daniela Holle - Hochschule für Gesundheit Bochum, Department für Pflegewissenschaft, Bochum, Germany
  • Margareta Halek - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V., Standort Witten, AG Versorgungsinterventionen, Witten, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf018

doi: 10.3205/19dkvf018, urn:nbn:de:0183-19dkvf0185

Published: October 2, 2019

© 2019 Kernebeck et al.
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Hintergrund: Die Versorgung von Menschen mit Demenz wird durch Veränderungen im Verhalten der Demenzkranken als herausfordernd erlebt. Herausforderndes Verhalten umfasst eine große Bandbreite von Verhaltensweisen, wie z. B. Schreien oder Unruhe. Individualisierte, nicht-pharmakologische Interventionen sind die erste Wahl für den Umgang mit diesen Verhaltensveränderungen. Die Wahl der richtigen Strategie setzt komplexe Entscheidungs- und Verstehensprozesse voraus. Assistive Technologien können diese Prozesse und die Ableitung individualisierter Interventionen unterstützen. Trotz der hohen Anzahl und Vielfalt von assistiven Technologien im Bereich der Demenz, ist die technologiebasierte Unterstützung für das Management von herausforderndem Verhalten deutlich unterrepräsentiert. In dem Projekt insideDEM wurde eine app- und sensorbasierte Technologie entwickelt, die den Umgang mit herausforderndem Verhalten für pflegende Angehörige unterstützen soll. In diesem Vortrag werden die Ergebnisse zur ersten Einschätzung der Nutzerakzeptanz der App durch pflegende Angehörige vorgestellt.

Ziel und Fragestellung: Welche Faktoren beeinflussen die Nutzerakzeptanz bei der erstmaligen Anwendung der insideDEM-App?

Methode: Zur Evaluation der Nutzerakzeptanz der App, wurden Workshops und Interviews mit pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz durchgeführt. Die Workshops bilden die Nutzerakzeptanz der App während des Entwicklungsprozesses ab, während die Interviews die Nutzerakzeptanz vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der App im Alltag wiedergeben. Die Analyse erfolgte inhaltsanalytisch anhand der Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT).

Ergebnisse: Es wurden zwei Workshops mit insg. 7 pflegenden Angehörigen (5w, 2m) und zwei Interviews in der Häuslichkeit der Angehörigen durchgeführt. Die Nutzerfreundlichkeit und Praktikabilität der App wird als positiv eingeschätzt. Mit zunehmender Nutzung, wurde die App als einfacher und intuitiver in der Anwendung empfunden. Der Nutzen der App machte sich vor allem in den angeregten Reflexionsprozessen hinsichtlich möglicher Ursachen des herausfordernden Verhaltens deutlich. Die pflegenden Angehörigen trauten sich mehrheitlich zu, die App auch ohne zusätzliche Hilfestellung in der Häuslichkeit anzuwenden. Die kurze Beobachtungszeit verhinderte aus Sicht der Angehörigen, dass sie den tatsächlichen Nutzen der App im Alltag hinreichend beurteilen können. Der Prozess der Informationserfassung in der App wurde über die Anzahl der App-Screens als „gleichförmig und unflexibel“ und als „abwechslungslos“ empfunden, was zu einer Art „Ermüdung“ bei der Anwendung führte. Die Angehörigen betonten die Notwendigkeit von individuellen Interventionen, die ihre tatsächliche Situation umfassend berücksichtigen. Des Weiteren äußerten die Angehörigen bedenken, dass sie die vorgeschlagenen Interventionen der App auf ihre eigene Situation in der Häuslichkeit übertragen können. Die Anwendungsbeobachtungen bestätigen die Ergebnisse der Workshops.

Diskussion: Bei der Auswahl von Interventionen müssen die aktuellen Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen individueller berücksichtigen werden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Bedürfnisse aufgrund der Progredienz der Demenz kontinuierlich ändern. Um diese Individualität zu gewährleisten, muss umfangreiches, domänenspezifisches Kontextwissen digital erfassbar gemacht werden. Dieses Wissen ist derzeit aus pflegewissenschaftlicher Perspektive digital nicht verfügbar. Die Art und Weise der Informationserfassung ist bei zukünftigen Entwicklungsschritten weiter zu optimiert. Das starre Format der Informationserfassung sollte interaktiver gestaltet werden, z. B. durch innovative Ansätze, wie die Interaktion mit Text. Die Unterschiede in der Einschätzung der Nutzerakzeptanz zeigen die Dynamik des subjektiven Nutzens in Abhängigkeit von dem Ausmaß der Auseinandersetzung mit der App. Dies hat einen Einfluss auf die Iterationen während der Entwicklung und Pilotierung der App. Dies zeigt, dass für die Sicherstellung der Nutzerakzeptanz sowohl die Einbindung der Nutzenden in die Entwicklung als auch eine längere Anwendungszeit erforderlich ist.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse, wie pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz im Umgang mit herausfordernden Verhalten durch digitale Interventionen unterstützt werden können. Insbesondere die Individualität der Intervention zum Umgang mit dem Verhalten muss bei der Entwicklung solcher Technologien eine zentrale Rolle spielen. Erfahrung in der Pflege, dem Umgang mit der Demenz sowie die aktuellen Bedürfnisse der Angehörigen sind hierbei zu berücksichtigen.