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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung als Kostenfalle für das Solidarsystem? Am Beispiel der Mundgesundheit von Geflüchteten

Meeting Abstract

  • Katja Götz - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin, Lübeck
  • Wiebke Winkelmann - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin, Lübeck
  • Jost Steinhäuser - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin, Lübeck

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf408

doi: 10.3205/18dkvf408, urn:nbn:de:0183-18dkvf4087

Published: October 12, 2018

© 2018 Götz et al.
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Hintergrund: Mundgesundheit stellt eine wichtige Determinante für das allgemeine Wohlbefinden dar und steht in engem Zusammenhang mit Lebensqualität [1]. Verschiedene systematische Reviews weisen darauf hin, dass vor allem Forschungsbedarf bezüglich der Evaluation der Mundgesundheit bei Geflüchteten besteht [2], [3]. Auch in Deutschland ist bisher wenig über die Mundgesundheit der angekommenen Flüchtlinge bekannt. Die Eingangsuntersuchungen beinhalten kein zahnmedizinisches Screening. Auf Grundlage der gesetzlichen Regelung nach §4, 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes steht den Geflüchteten ein eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzustände zur Verfügung. Eine routinemäßige Vorsorgeuntersuchung, um frühzeitige Zahnerkrankungen zu erkennen, ist dabei nicht vorgesehen.

Fragestellung: Die vorliegende Studie hatte zum Ziel die Mundgesundheit von Geflüchteten zu evaluieren und die aufkommenden Behandlungskosten abzuschätzen.

Methode: Das zahnmedizinische Screening der Geflüchteten erfolgte zwischen August 2016 und Juni 2017 auf freiwilliger Basis in Gemeinschaftsunterkünften durch eine Zahnärztin mit Unterstützung eines Sprachmittlers. Des Weiteren wurde ein Fragebogen mit zehn Fragen zur Mundgesundheit sowie eine visuellen Schmerzskala (0 keine Schmerzen bis 10 sehr starke Schmerzen) ausgegeben. Im Anschluss erfolgt die Beurteilung des Dentalstatus mittels DMF-T Index (decayed, missed, filled teeth). Neben der deskriptiven Auswertung der Mundgesundheit der Geflüchteten wurden die Behandlungskosten für konservative und prothetische Therapien auf Basis aktueller Punktwerte der gesetzlichen Krankenkassen für die jeweiligen zahnärztlichen Anwendungen geschätzt.

Ergebnisse: Insgesamt wurde bei 102 Geflüchteten ein Screening durchgeführt. Das mittlere Alter lag bei 28,6 Jahre. Der Großteil der Geflüchteten kam aus Afghanistan, Irak und Syrien. Über 84% der Teilnehmer hatten während ihrer Kindheit keinen zahnärztlichen Kontakt. Über 49% der Teilnehmer gaben zum Zeitpunkt des Screenings an, an Zahnschmerzen zu leiden. Der DMF-T Index lag im Mittel bei 6,89. Einen hohen DMF-T Index (> 9,0) wurde bei 25,5% der Geflüchteten evaluiert. Bei 92% der Teilnehmer gab es eine Indikation zur Behandlung, so dass die Kosten hierfür berechnet wurden. Im Mittel lagen die Kosten bei 206€ für eine konservative Therapie und bei 588€ bei einer prothetischen Therapie. Des Weiteren zeigten sich höhere Kosten für diejenigen, die bereits unter Zahnschmerzen litten.

Diskussion: Die vorliegende Studie stellt eine Pilotstudie dar und liefert einen wichtigen Beitrag, um Forschungslücken bezüglich der Mundgesundheit von Geflüchteten zu schließen und zeigt gleichzeitig auf, dass ein eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung mit Mehrkosten verbunden sein kann.

Praktische Implikationen: Eine mögliche Investition in die Finanzierung von Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt für Geflüchtete, um rechtzeitig eventuellen Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten vorzubeugen, sollte vom Gesetzgeber her überdacht werden. Des Weiteren sollte überdacht werden in die Eingangsuntersuchung von Geflüchteten ein Screening zur Zahngesundheit einzubauen, welches möglicherweise durch Studierende der Zahnmedizin aus dem klinischen Abschnitt übernommen werden könnte.


Literatur

1.
Hescot P. The New Definition of Oral Health and Relationship between Oral Health and Quality of Life. Chin J Dent Res. 2017; 20:189-192.
2.
Bozorgmehr K, Mohsenpour A, Saure D, Stock C, Loerbroks A, Joos S, Schneider C. Systematische Übersicht und „Mapping“ empirischer Studien des Gesundheitszustands und der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland (1990-2014). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2016; 59:599-620.
3.
Keboa MT, Hiles N, Macdonald ME. The oral health of refugees and asylum seekers: a scoping review. Global Health. 2016;12:59.