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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Gesundheitsversorgung und Gesundheitsinformationen aus Sicht von geflüchteten Frauen und von Expertinnen und Experten

Meeting Abstract

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  • Jana Tempes - Pädagogische Hochschule Freiburg, Public Health & Health Education, Freiburg
  • Ines Himmelsbach - Katholische Hochschule Freiburg, Versorgungsforschung in Gerontologie, Pflege und im Gesundheitswesen, Freiburg
  • Eva-Maria Bitzer - Pädagogische Hochschule Freiburg, Public Health & Health Education, Freiburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf407

doi: 10.3205/18dkvf407, urn:nbn:de:0183-18dkvf4077

Published: October 12, 2018

© 2018 Tempes et al.
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Hintergrund: Bisherige Studien identifizierten unter anderem Kommunikationsprobleme oder das fehlende Verständnis für das deutsche Gesundheitssystem als Gründe für die Entstehung von Über-, Unter- und Fehlversorgung bei Geflüchteten. Wie eine bedarfsgerechte Versorgung innerhalb der Regelversorgung oder durch spezielle Angebote aussehen müsste, ist bislang jedoch unklar. In diesem Beitrag stehen die Erfahrungen zu den Themen Gesundheitsversorgung und Gesundheitsinformationen aus der Perspektive von geflüchteten Frauen und von Expertinnen und Experten im Fokus.

Fragestellung: Wie beschreiben und bewerten geflüchtete Frauen und Expertinnen und Experten die Gesundheitsversorgung und Gesundheitsinformationen für geflüchtete Frauen?

Methode: Wir haben 6 geflüchtete Frauen aus Herkunftsländern mit einer hohen Schutzquote sowie 7 Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit an der Gesundheitsversorgung von geflüchteten Frauen beteiligt sind (Gesundheitsamt, psychotherapeutisches Zentrum, Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Geflüchtete, Jugendamt, Nichtregierungsorganisation) in 7 Bundesländern mittels leitfadengestützter Interviews befragt. Die inhaltsanalytische Auswertung der audiodokumentierten und transkribierten Interviews erfolgte mit der Analysesoftware MAXQDA 2018. Der Fokus lag auf den Erfahrungen in der Gesundheitsversorgung, den Einflussfaktoren auf die gesundheitliche Situation sowie den Themen Kommunikation und Gesundheitsinformationen. Die befragten geflüchteten Frauen sind zwischen 19 und 35 Jahre alt, leben seit 1 bis 5 Jahren in Deutschland und stammen aus Syrien (n=3), dem Irak (n=2) sowie Somalia (n=1). Jeweils die Hälfte der Frauen ist verheiratet und ledig. Alle verheirateten Frauen haben mindestens 3 Kinder. Die Expertinnen und Experten sind zwischen 28 und 63 Jahre alt und durchschnittlich seit etwa 11 Jahren in der gesundheitlichen Versorgung von geflüchteten Frauen tätig, mit einer Spanne von 1 bis 26 Jahren.

Ergebnisse: Erste Analysen zeigen, dass für geflüchtete Frauen Gatekeeper (z.B. Mitarbeitende in GUs, Angehörige) für den Zugang zur Gesundheitsversorgung von Bedeutung sind. Sofern keine Unterstützung möglich ist, versuchen die geflüchteten Frauen jedoch auch selbständig zu agieren. Die Integration in das deutsche Gesundheitssystem ist aus Sicht der Befragten ein wichtiger Schritt zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe. Zusätzliche Angebote sollten demnach als Brücke in das existierende Versorgungssystem dienen, jedoch keine Parallelstrukturen schaffen. Diese Angebote sind bei den geflüchteten Frauen jedoch teilweise unbekannt. Erfahrungen aus dem Herkunftsland prägen die Bewertung und Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Beispielsweise haben Frauen in ihrem Herkunftsland keine Erfahrungen mit vaginalen Untersuchungen. Die Angst vor der fremden Untersuchungssituation führt unter anderem zu Ängsten vor einer möglichen Schwangerschaft. Die Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erschwert einigen Frauen den Zugang zum Gesundheitssystem. Der Erhalt der Krankenversicherungskarte führt diesbezüglich zu einer deutlichen Entlastung. Weitere Barrieren bei der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung sind Verständigungsschwierigkeiten sowie fehlende zeitliche Ressourcen aufgrund der Verantwortung für die Kinder. Schriftliche und internetbasierte Gesundheitsinformationen stoßen bislang auf wenig Akzeptanz bei der Zielgruppe. Gründe hierfür sind, dass Formate wie Flyer oder Broschüren nicht bedarfsgerecht sind und die Materialien teilweise nicht in der benötigten Landessprache vorliegen. Die Frauen äußern jedoch ihren Wunsch nach Informationen zu unterschiedlichen Gesundheitsthemen. Bislang erhalten sie Informationen von Krankenkassen oder Frauengruppen, wobei die entscheidende Quelle private Netzwerke sind.

Diskussion: Für den Zugang zur Gesundheitsversorgung sind entsprechende Rahmenbedingungen wie Gatekeeper oder der Abbau bürokratischer Hürden entscheidend. Demnach sollte sowohl die Angemessenheit der Versorgungsstrukturen als auch die Stärkung von Fähigkeiten der geflüchteten Frauen zur Inanspruchnahme von Gesundheitsangeboten im Fokus stehen.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse dieser Studie können einen Beitrag für die Gestaltung einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung sowie zielgruppenspezifischer Gesundheitsinformationen für geflüchtete Frauen leisten.

Förderung: Die Förderung des kooperativen Promotionskollegs "Versorgungsforschung: Col-laborative Care" erfolgt durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg nach dem Landesgraduiertenförderungsgesetz.