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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Handlungsfelder in der ambulanten Versorgung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Michéle Müller - Zwickau
  • Jörg Klewer - Westsächsische Hochschule Zwickau, Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Zwickau
  • Harald Karutz - Medical School Hamburg, Fakultät Gesundheit, Hamburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf394

doi: 10.3205/18dkvf394, urn:nbn:de:0183-18dkvf3946

Published: October 12, 2018

© 2018 Müller et al.
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Hintergrund: Mit mindestens einem traumatischen Ereignis waren nach Angaben der Bremer Jugendstudie bereits 22,5% der befragten Jugendlichen im Alter zwischen 12 - 17 Jahren konfrontiert. Die Lebenszeitprävalenz lag bei 1,6%. Es wird bei der Versorgung von traumatisierten Kinder und Jugendlichen die Prämisse „ambulante vor stationäre Traumatherapie“ vertreten, um die Betroffenen nicht aus ihrem Wohnumfeld und eventuell auch schulischem Umfeld herauszunehmen. In Deutschland erfolgt der Großteil der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung durch niedergelassene ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.

Fragestellung: Im Rahmen der Versorgungsforschung sollen empirisch begründete Aussagen zu Problemlagen in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgungssituation von traumatisierten Kindern und Jugendlichen möglich sein.

Methode: Die Zielgruppe der Untersuchung stellen ambulante Leistungsanbieter dar, die auf die psychotraumatische Behandlung von Kindern und Jugendlichen spezialisiert sind. Von den niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten verfügen nur ca. 10% (250) über eine Qualifikation in Form einer traumaspezifischen Weiterbildung. Die schriftliche Befragung wurde als Querschnittsstudie mit der Zielstellung einer hohen Teilnehmerzahl und der Sicherstellung der Anonymität als quantitative Methode durchgeführt. Die Datenerhebung erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Wochen. Die Daten der ausgefüllten Fragebögen wurden elektronisch erfasst und mit Hilfe der Statistiksoftware IBM SPSS Statistics 22 unter Anwendung der deskriptiven Statistik ausgewertet.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 212 Fragebögen auf dem Postweg versandt. Auf Grund der Unzustellbarkeit von 6 Fragebögen, bestand die Stichprobenbasis somit aus 206 Befragten. Von den 97 eingehenden Antworten mussten 5 Fragebögen ausgeschlossen werden. Diese zählten zu Therapeuten, die nicht der Berufsgruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten angehörten und keine Abrechnungsgenehmigung für Psychotherapie bei Kinder und Jugendlichen besaßen, sodass deren Angaben nicht dem Fokus der Untersuchung dienlich waren. Die bereinigte Rücklaufquote betrug folglich 44 %. Während der Ausbildung empfanden nur 20 von 92 Befragungsbeteiligten, dass die Inhalte bezüglich traumaspezifischem Wissen und Methoden zur Anwendung in der Praxis ausreichend vermittelt wurden. Für 18 Befragte galt dies auch speziell für Wissen und Methoden für die Patientengruppe der Kinder und Jugendlichen. Als nicht ausreichend hingegen erachteten 48 der Befragungsteilnehmer die Vermittlung von Wissen und Methoden zum Thema in ihrer Ausbildung. Dass traumaspezifische Inhalte in der Ausbildung gar nicht berücksichtigt wurden, gaben 19 der 92 Befragungsteilnehmer an. Einen Bedarf an traumaspezifischer Fortbildung sahen 61 von 88 Antwortenden. Aufgrund der Auslastung der eigenen Praxis mussten 71 Befragunsgteilnehmer Anfragen von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Eltern im letzten halben Jahr ablehnen. Lediglich 20 Antwortende hatten dieses Problem nicht. Die Wartezeit zwischen der Anfrage und einem Erstgespräch im letzten halben Jahr lag im Mittel bei 11 Wochen (n=83). Die Wartezeit bis zum Therapiebeginn dauerte durchschnittlich 17 Wochen (n=87).

Diskussion: Bei der Versorgung von traumatisierten Kindern und Jugendlicher werden besondere Anforderungen an die fachliche Kompetenz und Belastbarkeit der Psychotherapeuten gestellt, jedoch wird in der Ausbildung von Psychotherapeuten zu wenig Wissen über Folgen und Behandlung von Traumata insbesondere bei Kindern vermittelt. Weiterhin besteht die Problematik, dass speziell in der Grundausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten die Anwendung entsprechender Verfahren bisher nicht berücksichtigt wird. Nur ein kleiner Anteil traumatisierter Kinder und Jugendlicher erhält eine evidenzbasierte traumaspezifische Behandlung. Die Untersuchung verdeutlichte weiterhin, dass ein zeitnaher Zugang zur Behandlung für traumatisierte Kinder und Jugendliche nicht flächenddeckend gegeben ist. Die durchschnittliche Dauer bis zu einem Erstgespräch bei den Befragungsteilnehmern war etwas länger als die Wartezeit der BPtK Studie im Jahr 2011. Die Wartezeit von der Anfrage eines Patienten bis zum Therapiebeginn war im Vergleich sieben Wochen kürzer (17 vs. 24). Problematisch dabei ist, dass sich durch lange Wartezeiten die Wahrscheinlichkeit der Verschlimmerung psychischer Erkrankungen erhöht.

Praktische Implikationen: In der Ausbildung von Psychotherapeuten sollten wichtige Inhalte zur Psychotraumatologie fester Bestandteil sein. Um der Forderung einer bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung nachzukommen, bedarf es Anpassungen in der Bedarfsplanung.