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Evaluation und Definition des therapeutischen Interventionsbedarfs bei Patienten mit häufigen stationären Wiederaufnahmen bei Alkoholabhängigkeit
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Published: | October 12, 2018 |
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Hintergrund: Alkoholabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die hohe Kosten im Gesundheitssystem verursacht. Auswertungen der Routinedaten der beiden wichtigsten stationären Einrichtungen der Tertiärversorgung innerhalb eines Versorgungsgebietes ergaben, dass ca. 3,5% der dort behandelten Patienten mit Alkoholabhängigkeit für ca. 20% der stationären Aufnahmen verantwortlich sind. Diese Patientengruppe verursachte mindestens 5 stationäre Aufnahmen in den letzten 12 Monaten, bzw. mindestens 10 Aufnahmen in den letzten 60 Monaten. Dies spricht dafür, dass diese Patientengruppe, trotz starker Inanspruchnahme (Heavy Use) des therapeutischen Angebotes, nicht ausreichend davon profitiert. Gleichzeitig ist bekannt, dass eine ungünstigere Prognose bei Alkoholabhängigkeit besteht, wenn diese mit weiteren psychischen Komorbiditäten einhergeht, insbesondere bei adultem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS), traumatischen Lebenserfahrungen und/oder emotionaler Instabilität.
Fragestellung: Ziel der Studie ist es, therapeutische Interventionsbedarfe bei Patienten mit häufigen stationären Wiederaufnahmen bei Alkoholabhängigkeit zu identifizieren sowie ein vereinfachtes Instrumentarium zur Identifikation derselben zu entwickeln.
Methode: In einer vergleichenden Querschnittserhebung, wird eine ausführliche klinische Diagnostik mittels interview- und fragebogenbasierten Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumenten durchgeführt. Dazu werden N=50 Heavy User und N=50 Patienten einer Vergleichsgruppe untersucht. Alle Patienten waren wegen Alkoholabhängigkeit in stationärer Behandlung. Die Heavy User definieren sich durch mindestens 5 bzw. 10 Aufnahmen in den letzten 12 bzw. 60 Monaten, die Patienten der Vergleichsgruppe definieren sich durch 2 bis 3 stationäre Aufnahmen in den letzten 60 Monaten. Die Auswertung erfolgt in zwei Schritten: zunächst innerhalb des Studiensamples durch vergleichende Analysen zwischen den Patientengruppen. Im zweiten Schritt werden die erfassten Prävalenzen zwischen Studiensample klinischen Routinedaten verglichen. Im Studiensample, erfolgt zusätzlich eine dimensionale Auswertung der psychometrisch erfassten Phänotypen. Weiterhin soll eine Qualitative Befragung bei den Heavy Usern subjektive Einschätzungen zu den Bedingungsfaktoren der häufigen Wiederaufnahmen erbringen.
Ergebnisse: Bisher wurden N=35 Heavy User und N=15 Patienten der Vergleichsgruppe untersucht. Sowohl in den klinischen Routinedaten als auch im bisher untersuchten Studiensample ist die Prävalenz insbesondere für die drei genannten Komorbiditäten bei Heavy Usern höher als in der Vergleichsgruppe. Dabei zeigte sich trotz aufwändiger Diagnostik im Studiensample keine erhöhte Prävalenz in der kategorialen Auswertung von ADHS, Posttraumatischer Belastungsstörung oder emotional instabiler Persönlichkeitsstörung, als bereits aus den klinischen Routinedaten ersichtlich wäre.
Diskussion: Eine häufigere Komorbidität von adultem ADHS, PTBS und emotional-instabiler Persönlichkeitsstörung deutet auf die Zulässigkeit des Umkehrschlusses hin, dass Patienten mit häufigen stationären Wiederaufnahmen wegen Alkoholabhängigkeit auch mit ungünstigeren prognostischen Voraussetzungen belastet sind. Auch mit ausführlicher klinischer Diagnostik in einem speziellen wissenschaftlichen Setting konnte keine höhere Komorbidität der Vollbilder der erwarteten Psychischen Störungen gefunden werden, als dies bereits in der klinischen Routine erfasst wurde. Ob komorbide Syndrome, die keine Diagnose rechtfertigen, einen besonderen Behandlungsbedarf anzeigen, ist Gegenstand der laufenden Untersuchung.
Praktische Implikation: Sollte sich herausstellen, dass das Vorliegen komorbider Syndrome ungünstige Patientenkarrieren besser vorhersagt, als das Vorliegen komorbider Vollbilder psychischer Störungen, könnten aus der aktuellen Untersuchung Routine-Assessments zur Erfassung dieser Syndrome entwickelt werden. Dies könnte helfen das Versorgungssystem durch ein zielgerichtetes Angebot für diese speziellen Interventionsbedarfe zu entlasten.