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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Diagnosepfade bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen in Deutschland

Meeting Abstract

  • Juliana Höfer - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Oldenburg
  • Falk Hoffmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Oldenburg
  • Inge Kamp-Becker - Philipps-Universität Marburg, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Marburg
  • Veit Roessner - Uniklinikum der TU Dresden, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Dresden
  • Luise Poustka - Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Göttingen
  • Sanna Stroth - Philipps-Universität Marburg, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Marburg
  • Nicole Wolff - Uniklinikum der TU Dresden, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Dresden
  • Christian J. Bachmann - LVR-Klinikum Düsseldorf/Heinrich-Heine Universität, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Düsseldorf

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf378

doi: 10.3205/18dkvf378, urn:nbn:de:0183-18dkvf3784

Published: October 12, 2018

© 2018 Höfer et al.
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Text

Hintergrund: Obwohl Eltern von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) erste Auffälligkeiten schon früh bemerken und eine fundierte Diagnostik bereits ab dem Alter von 12 Monaten erfolgen kann, wird die Diagnose oft erst wesentlich später gestellt. Für die Eltern und Kinder ist die lange Zeit zwischen dem Bemerken atypischer Verhaltensweisen und der Diagnosestellung oft mit viel Frustration, Unsicherheit und Sorgen verbunden, was zu Stress und Unzufriedenheit führen kann.

Fragestellung: Ziel der Studie war es abzubilden, welche Erfahrungen Eltern von Kindern und Jugendlichen mit ASS auf dem Weg zur Diagnosestellung machen. Dabei wurde ermittelt, wann die befragten Eltern erste Auffälligkeiten bei ihrem Kind bemerkten, in welchem Alter die endgültige Diagnose einer ASS gestellt wurde, welche und wie viele Stellen (Fachärzte, Psychologen, Beratungsstellen etc.) sie im Rahmen des Diagnoseprozesses aufgesucht hatten und wie zufrieden sie mit dem gesamten Diagnoseprozess waren.

Methode: Es wurde eine postalische Fragebogenerhebung unter Eltern/Sorgeberechtigten von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-18 Jahren mit einer ASS (gemäß ICD-10), die in den kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken Dresden, Mannheim und Marburg diagnostiziert bzw. behandelt wurden, durchgeführt. Neben demographischen Angaben und der Inanspruchnahme medizinischer und nicht-medizinischer Leistungen beinhaltete der Fragebogen, basierend auf der deutschen Version des Client Service Receipt Inventory für Kinder (CSRI-C), Fragen zum Ablauf des Diagnoseprozesses und den dabei gemachten Erfahrungen der Eltern. Die Angaben aus dem Fragebogen wurden pseudonymisiert mit klinischen Daten (z.B. Alter, Geschlecht, ICD 10-Diagnose, Vergleichswert der Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS-2) und IQ-Level) aus den Studienzentren verknüpft. Alle Kinder und Jugendlichen wurden nach einem einheitlichen Goldstandard, dem ADOS und dem Diagnostischen Interview für Autismus-revidiert (ADI-R), diagnostiziert.

Ergebnisse: 637 Fragebögen wurden versendet, von denen insgesamt 207 Fragebögen hinsichtlich unserer Fragestellung ausgewertet werden konnten. Das Durchschnittsalter der Kinder (84% männlich) betrug 12,9 Jahre.

Im Durchschnitt bemerkten Eltern erste Auffälligkeiten bei ihren Kindern mit 23,4 Monaten. Die Diagnosestellung erfolgte durchschnittlich im Alter von 78,5 Monaten. Kinder mit atypischem Autismus und Asperger Syndrom wurden deutlich später (83,9 bzw. 98,1 Monate) diagnostiziert als Kinder mit frühkindlichem Autismus (68,1 Monate). Bis zur Diagnosestellung wurden im Schnitt 3,4 unterschiedliche Stellen aufgesucht, wobei die endgültige Diagnose am häufigsten (49%) in einer Spezialambulanz für ASS gestellt wurde. Insgesamt waren 38% der Eltern mit dem Diagnoseprozess unzufrieden.

Diskussion und praktische Implikationen: In Anbetracht dessen, dass eine frühe Diagnosestellung die Inanspruchnahme ASS-spezifischer Therapieverfahren ermöglicht und ein früher Beginn den Erfolg dieser Maßnahmen positiv beeinflusst, sollte bei begründetem Verdacht die Diagnosestellung grundsätzlich so früh wie möglich erfolgen. Die Studie zeigt, dass in Deutschland das Alter bei Diagnosestellung, insbesondere für Kinder mit Asperger-Syndrom, jedoch deutlich über dem europäischen und internationalen Durchschnitt liegt.

Es besteht in Deutschland somit ein erhebliches Optimierungspotential in der Diagnostik von ASS. Ein früheres und verbessertes Screening sowie eine stärkere Einbindung qualifizierter ASS-Spezialambulanzen in den diagnostischen Prozess sind hierbei wichtige Bausteine.

Die Arbeit wurde unterstützt durch den Forschungsverbund zu Autismus-Spektrum-Störungen, ASD-Net, gefördert vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen: 01EE1409F).