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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Identifikation von Vorsorge- und Rehabilitationsbedarfen in Kinder- und Jungendarztpraxen

Meeting Abstract

  • Ramona Auer - AOK Baden-Württemberg, Rehabilitations- und Pflegeforschung, Stuttgart
  • Julia Frankenhauser-Mannuß - AOK Baden-Württemberg, Rehabilitations- und Pflegeforschung, Stuttgart
  • Katrin Wollensak - AOK Baden-Württemberg, Rehabilitation und Teilhabe, Stuttgart

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf376

doi: 10.3205/18dkvf376, urn:nbn:de:0183-18dkvf3762

Published: October 12, 2018

© 2018 Auer et al.
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Text

Hintergrund: Laut Ergebnissen der bundesweiten Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) lag in den Jahren 2003 - 2006 bei Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren der Anteil übergewichtiger und adipöser bei 15%. Die 12-Monats-Prävalenz von ärztlich diagnostiziertem Asthma bronchiale lag in der Studie bei derselben Altersgruppe bei 4%. Für psychische Auffälligkeiten fanden sich bei rund 20% der Kinder und Jugendlichen Anzeichen [1].

Diese Erkenntnisse zeigen ein weltweites Gesundheitsproblem auf und stellen eine bedeutende Herausforderung in der Prävention im 21. Jahrhundert dar. Aber auch die Versorgung bereits erkrankter Kinder und Jugendlicher ist in Deutschland noch zu optimieren, um mögliche Chronifizierungen und Begleiterkrankungen zu vermeiden. Beispielsweise haben adipöse Kinder eine höhere Wahrscheinlichkeit einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln oder im Erwachsenenalter an Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden [1].

Neben der Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen im ambulanten Sektor durch Haus- und Kinderärzte, besteht die Möglichkeit im Behandlungsverlauf eine Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch zu nehmen. Von Verbänden, der Politik und der Öffentlichkeit werden die für die Rehabilitation zuständigen Sozialversicherungsträger immer wieder aufgrund der niedrigen Inanspruchnahme dieser Leistung angemahnt. Rentenversicherungsträger und Krankenkassen sind bei diesen Maßnahmen für Kinder und Jugendliche gleichrangig zuständig (§ 40 Abs. 4 SGB V).

Fragestellung: Kann es durch Einführung eines Screenings bei Kindern und Jugendlichen im ambulanten Sektor gelingen, die Inanspruchnahme von Leistungen der Vorsorge und Rehabilitation zu erhöhen? Können die sozialleistungsträgerübergreifende Zusammenarbeit und die vereinfachten Prozesse im Antragsverfahren mögliche Erfolgsfaktoren darstellen?

Methode: Gemeinsam mit einer großen Rentenversicherung, einer großen gesetzlichen Krankenkasse, einer Landesgruppe des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte und Rehabilitationsexperten wurde eine Checkliste zur Identifikation von Vorsorge- und Rehabilitationsbedarfen bei Kindern und Jugendlichen erarbeitet. Diese umfasst zwei verschiedene Indikationsgruppen:

  • Somatische Indikationen: Übergewicht/Adipositas, obstruktive Atemwegserkrankungen, atopisches Ekzem/Neurodermitis, allergische Rhinokonjunktivitis, Nahrungsmittelallergie
  • Verhaltens- und psychosomatische Störungen: Störungen des Sozialverhaltens, hyperkinetische Störungen, depressive Störungen, Angststörungen/Panikstörungen/Trennungsangst

Weiter verständigten sich die Krankenkasse und die Rentenversicherung auf ein verkürztes, unbürokratisches und einheitliches Antragsverfahren für die Beantragung der jeweiligen Maßnahme.

Das Erkennen von Vorsorge- und Rehabilitationsbedarfen wird über die jeweilige Checkliste für somatische Indikationen oder für Verhaltens- und psychosomatischen Störungen sichergestellt. Der Haus- oder Kinder- und Jugendarzt wendet die Checkliste im Rahmen der Patientenbehandlung (z.B. Vorsorgeuntersuchungen oder im Rahmen der allgemeinen ärztlichen Behandlung) an. Die Checkliste wird zusammen mit dem verkürzten Antragsformular an die Krankenkasse geschickt. Die Zuständigkeit wird zwischen Krankenkasse und Rentenversicherung geklärt.

Ergebnisse: Offensichtliche Hürden bei der Inanspruchnahme einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme, wie das Erkennen des Bedarfes auf Ebene des Arztes, das kompliziert empfundene Antragsverfahren und die Unklarheit bezüglich der Trägerschaft konnten vermindert werden. Auch wurden Informations- und Aufklärungsmaterialien für Eltern zur Verfügung gestellt. Der Praxis wurde die Handhabung mittels eines automatisierten technischen Erinnerungssystems über die Praxis-Software erleichtert. Alle durchgeführten Maßnahmen zeigen keinen Effekt auf die Inanspruchnahme.

Diskussion: Die Gründe für die Unterinanspruchnahme einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme sind nur multikausal zu erklären. Den Grund, wie in der Vergangenheit oft getan, allein in der Antragspraxis der Träger zu verorten, greift zu kurz, wie hier gezeigt werden konnte. Weitere Gründe werden diskutiert, lagen jedoch nicht unter dem Einfluss der Projektpartner. Z.B. gibt es oft Vorbehalte auf Seiten der Elternschaft bezüglich entstehender Nachteile bei den Kindern durch den Unterrichtsausfall.

Praktische Implikationen: Um mittelfristig eine Steigerung der Inanspruchnahme von Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen zu erreichen, muss weiter nach den Gründen und Ursachen der bis heute eher geringen Inanspruchnahme gesucht werden.


Literatur

1.
Robert Koch-Institut. KiGGS Welle 2 – Erste Ergebnisse aus Querschnitt- und Kohortenanalysen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes Gemeinsam getragen von RKI und Destatis. Journal of Health Monitoring. 2018;3(1). DOI: 10.17886/RKI-GBE-2018-003 2018. External link