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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Ursachen und Motive für den Einsatz diagnostischer Untersuchungen zur Abklärung von koronarer Herzkrankheit

Meeting Abstract

  • Kathrin Schlößler - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Rehabilitative und Präventive Medizin, Marburg
  • Navina Gerlach - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Rehabilitative und Präventive Medizin, Marburg
  • Katja Winkler - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Rehabilitative und Präventive Medizin, Marburg
  • Anika Berberich - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Rehabilitative und Präventive Medizin, Marburg
  • Joana Steinbuck - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Rehabilitative und Präventive Medizin, Marburg
  • Julian Bleek - AOK Bundesverband, Berlin
  • Ursula Marschall - BARMER, Wuppertal
  • Udo Schneider - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg
  • Dirk Horenkamp-Sonntag - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg
  • Leonie Sundmacher - Ludwig-Maximilians-Universität München, Fachbereich Health Services Management, Fakultät für Betriebswirtschaft, München
  • Steffen Schneider - Stiftung Institut für Herzinfarktforschung (IHF), Ludwigshafen
  • Hans Helmut König - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Hamburg
  • Ina Kopp - Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Marburg
  • Monika Nothacker - Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Geschäftsstelle Berlin, Berlin
  • Corinna Schäfer - Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, Berlin
  • Karl Werdan - Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Düsseldorf
  • Michael Weber - Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Düsseldorf
  • David Klemperer - Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften, Regensburg
  • Norbert Donner-Banzhoff - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Rehabilitative und Präventive Medizin, Marburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf374

doi: 10.3205/18dkvf374, urn:nbn:de:0183-18dkvf3749

Published: October 12, 2018

© 2018 Schlößler et al.
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Text

Hintergrund: Brustschmerzen können auf eine koronare Herzkrankheit (KHK) hindeuten, aber auch auf eine große Anzahl anderer Ursachen zurückzuführen sein. Zur Abklärung eines klinischen Verdachts auf eine KHK sind Entscheidungsregeln entwickelt und systematisch validiert worden. Der diagnostische Prozess wird in der Nationalen Versorgungsleitlinie-KHK anschaulich in einem Algorithmus zusammengefasst. Hierbei ist eine Herzkatheteruntersuchung (HKU) für die Diagnostik den nicht-invasiven Methoden nachgestellt.

In Deutschland werden im internationalen Vergleich viele HKU durchgeführt. Auch innerhalb Deutschlands besteht eine große regionale Variation der Häufigkeit von HKU.

Im Rahmen der durch den Innovationsfonds zur Förderung von Versorgungsforschung geförderten KARDIO-Studie (Kennzeichen: 01VSF16048) beschreiben wir die adjustierte regionale Häufigkeit von HKU und explorieren assoziierte Faktoren (Erstes Teilprojekt; Routinedaten). In dem hier vorgestellten Teilprojekt untersuchen wir auf Ebene einzelner Behandler Einflüsse auf das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf KHK. Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickeln und evaluieren wir in einer späteren Studienphase intersektorale Behandlungspfade zur Abklärung von Patienten mit vermuteter KHK.

Fragestellung: Welche Überlegungen zu diagnostischen Schwellen haben die behandelnden Ärzte (Hausärzte, Kardiologen) in Bezug auf Herzkatheter bei Patienten mit Angina Pectoris und/oder äquivalenten Symptomen?

Methode: Wir haben teilstrukturierte Interviews mit neun Hausärzten (HÄ) und sechs Kardiologen (KA) geführt. Die Ärzte haben ihr Vorgehen, ausgehend von erlebten Patienten-Fällen, geschildert (stimulated recall). Leitthemen waren diese Fallschilderung sowie Gedanken zu Einflussfaktoren auf das diagnostische Vorgehen inklusive regionaler und struktureller Gegebenheiten. Wir haben alle Interviews digital aufgezeichnet und transkribiert. Zunächst haben wir in MaxQdA gemischt induktiv-deduktiv codiert. Im nächsten Schritt haben wir Fallprofile erstellt und die Aussagen der Einzelakteure in Matrizen verglichen. Hierdurch haben wir eine höhere Abstraktionsebene erreicht und Einflussfaktoren auf diagnostische Schwellen identifiziert.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse bestätigen das Konzept der diagnostischen Schwelle, nach dem die ärztliche Empfehlung zu diagnostischen Untersuchungen nicht automatisch erfolgt, sondern gewisse Kriterien voraussetzt. Kriterien und Schwellen sind jedoch nicht einheitlich, sondern werden von den Ärzten unterschiedlich, sowie dem individuellen Patienten angepasst, festgelegt und gewichtet.

In unseren Analysen haben wir verschiedene Einflussfaktoren auf diagnostische Schwellen identifiziert: Methodisch werden Unzulänglichkeiten der nicht-invasiven Testverfahren in Bezug auf Spezifität, Sensitivität aber auch Zeitaufwand Gewicht beigemessen, die Koronarangiografie wird als der „Goldstandard“ angesehen. Strukturell spielt die regionale Verfügbarkeit der nicht invasiven Verfahren als auch der Herzkatheterlabore eine Rolle. Schließlich werden finanzielle Anreize für HKU von den Teilnehmern als bedeutend eingestuft.

Auch patienten-assoziierte Faktoren wie Lebensumstände, Ängste und die vermutete Symptomursache beeinflussen die ärztlichen Empfehlungen bezüglich der weiteren diagnostischen Abklärung. Daneben haben individuelle (z.B. Behandlungstyp) und situative Faktoren eine Wirkung auf das weitere diagnostische Vorgehen und die „Schwellensetzung“.

Die Entscheidung für oder gegen eine Indikationsstellung HKU sahen sowohl HÄ als auch KA als primär den Kardiologen obliegende Aufgabe an.

Diskussion: Wir haben verschiedene Einflussfaktoren auf den diagnostischen Prozess bei Patienten mit Symptomen, die für eine KHK sprechen, identifiziert. Diese können sowohl im jeweiligen klinischen Fall verankert, methodisch begründet, als auch struktureller Natur sein. Hierbei hat sich das Konzept einer Entscheidungsschwelle, die durch verschiedene Gegebenheiten verschoben werden kann, bewährt.

In der Indikationsstellung für oder gegen einen Herzkatheter wurde den jeweiligen individuellen Patientenfaktoren ein hoher Stellenwert eingeräumt, inwiefern sich dieser auch auf eine Einbindung der Patienten in eine gemeinsame Entscheidung erstreckte, erscheint variabel. Um die Patientenperspektive näher zu ergründen führen wir daher aktuell Interviews mit Patienten durch.

Praktische Implikationen: Vor der Entwicklung einer komplexen Intervention (Behandlungspfad) ist es sinnvoll, potentielle Barrieren und fördernde Faktoren zu explorieren. Die identifizierten Faktoren können Ziele dieser Intervention zur Verbesserung der Leitlinienumsetzung bei der Abklärung von Symptomen, die für eine KHK sprechen, sein.