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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

SEAL-Programm – Früherkennung der Leberzirrhose durch Screening der Allgemeinbevölkerung im Rahmen des Check-up 35

Meeting Abstract

  • Marc Nguyen-Tat - Universitätsmedizin Mainz, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Mainz
  • Frank Lammert - Universitätsklinikum des Saarlandes, Klinik für Innere Medizin II, Homburg
  • Anita Arslanow - Universitätsmedizin Mainz, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Mainz
  • Franz Josef Heil - Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen (bng), Andernach
  • Dagmar Mainz - Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen (bng), Saarlouis
  • Gudula Zimper - Saarländischer Hausärzteverband e.V., Kirkel
  • Burkhard Zwerenz - Hausärzteverband Rheinland-Pfalz e.V., Hausärzteverband Rheinland-Pfalz e.V., Prüm
  • Julian Wangler - Universitätsmedizin Mainz, Abteilung für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Mainz
  • Michael Jansky - Universitätsmedizin Mainz, Abteilung für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Mainz
  • Désirée Gisch - Universität des Saarlandes, Zentrum Allgemeinmedizin, Homburg
  • Johannes Jäger - Universität des Saarlandes, Zentrum Allgemeinmedizin, Homburg
  • Tobias Engelmann - Universitätsmedizin Mainz, Interdisziplinäres Zentrum Klinische Studien, Mainz
  • Erika Graf - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Freiburg; Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg
  • Jochen Knaus - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Freiburg; Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg
  • Dominikus Stelzer - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Freiburg; Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg
  • Urs Fichtner - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Freiburg; Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg
  • Harald Binder - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Freiburg; Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg
  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Freiburg; Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg
  • Reyn van Ewijk - Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie, Mainz
  • Julia Ortner - Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Lehrstuhl für Controlling, Mainz
  • Louis Velthuis - Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Lehrstuhl für Controlling, Mainz
  • Peter R. Galle - Universitätsmedizin Mainz, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Mainz

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf373

doi: 10.3205/18dkvf373, urn:nbn:de:0183-18dkvf3733

Published: October 12, 2018

© 2018 Nguyen-Tat et al.
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Text

Hintergrund: Die Leberzirrhose ist eine chronische Krankheit, die sich über Jahrzehnte auf dem Boden verschiedener Risikofaktoren häufig unbemerkt entwickelt. Im Frühstadium der Leberzirrhose sind die Patienten in der Regel symptomfrei, es sind noch keine Organkomplikationen aufgetreten, und die Leberfunktion ist weitgehend erhalten. Selbst in Ländern mit einem hochentwickelten Gesundheitssystem wird die Diagnose der Leberzirrhose in 75% der Fälle erst gestellt, wenn bereits Komplikationen wie innere Blutungen (Ösophagusvarizenblutung), Bauchwassersucht (Aszites), Nierenversagen (hepatorenales Syndrom) oder Leberkoma (hepatische Enzephalopathie) aufgetreten sind. Bei diesen Patienten ist das Risiko für die Entwicklung weiterer Komplikationen hoch. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Patienten mit Leberzirrhose liegt um 10 bis 20 Jahre niedriger als die der Allgemeinbevölkerung.

Für chronische Leberkrankheiten sind in der Regelversorgung keine Früherkennungsprogramme etabliert. Zwar hat jeder gesetzlich Krankenversicherte (GKV) ab dem 35. Lebensjahr das Anrecht auf eine Basis-Check-up-Untersuchung (Check-up 35), die jedoch (nur) auf die Früherkennung von kardiovaskulären Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes mellitus abzielt und somit (bisher) keine Bestimmung von Leberwerten beinhaltet.

Fragestellung: Die meisten chronischen Lebererkrankungen, die zur Leberfibrose und Leberzirrhose führen, sind insbesondere bei früher Diagnose einer ursächlichen Behandlung zugänglich. Eine wesentliche Ursache für den geringen Anteil an Frühdiagnosen ist das Fehlen eines strukturierten Diagnosepfades für Patienten mit erhöhten Leberwerten oder mit fortgeschrittenen chronischen Leberkrankheiten. Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob ein Leberwert-Screening in Kombination mit einem spezifischen Algorithmus geeignet ist, um Leberzirrhosen vorzubeugen und zum anderen, ob der bereits etablierte Check-up 35 einen geeigneten Rahmen für ein solches Screening-Programm darstellt.

Methode: Im Rahmen des SEAL-Programms (Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose, gefördert vom G-BA-Innovationsfonds, Förderkennzeichen 01NVF16026) wird in Rheinland-Pfalz und im Saarland bei ca. 16.000 Versicherten der AOK im Rahmen des hausärztlichen Check-up 35 ein Screening auf die Leberenzyme Alanin-Aminotransferase (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) durchgeführt. Im Falle von auffälligen Leberwerten erfolgt bei Überschreiten eines Leberfibrose-/Leberzirrhose-Risikoscores die Überweisung an einen Facharzt zur weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung. Erhärtet sich im Rahmen der fachärztlichen Abklärung der Verdacht auf eine Leberfibrose, erfolgt die Vorstellung im Leberzentrum eines Universitätsklinikums zur weiteren Diagnostik und Therapie. Die Abklärung wird durch eine transsektorale Webplattform unterstützt. Primärer Endpunkt ist die Anzahl an Patienten mit neu diagnostizierter relevanter Leberfibrose oder Leberzirrhose je 1.000 GKV-Check-up-35 Untersuchungen. Sekundäre Endpunkte sind Prävalenz und Epidemiologie von Leberwerterhöhungen, die Anzahl der durchgeführten Screening-Maßnahmen je frühdiagnostizierter Leberzirrhose, der Anteil der diagnostizierten Hepatopathien, die einer spezifischen therapeutischen Intervention zugeführt werden können, die GKV-Kosten je Leberzirrhose-Frühdiagnose entsprechend des SEAL-Algorithmus, eine Abschätzung der langfristig durch die Frühdiagnose gesparten Behandlungskosten und die Zufriedenheit der Haus- und Fachärzte mit der neuen Versorgungsform. Eine Teilstudie befasst sich mit den Auswirkungen falsch-positiver Screening-Ergebnisse auf den psychosozialen Gesundheitsstatus der Betroffenen. Im Rahmen der gesundheitsökonomischen Evaluation erfolgt insbesondere auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aus Sicht der GKV.

Ergebnisse: Das SEAL-Programm hat im November 2017 mit der Rekrutierung von Haus- und Fachärzten begonnen und wird von März 2018 bis Dezember 2019 Patienten einschließen und untersuchen.

Diskussion/Praktische Implikation: International existiert bisher kein etablierter Früherkennungs-Algorithmus für fortgeschrittene Lebererkrankungen, insbesondere für Leberfibrose und Leberzirrhose. Das SEAL-Programm wird Daten zur Umsetzbarkeit, Effektivität, kurz- und langfristiger Kostenänderung sowie zu den Belastungen bei falsch-positiven Ergebnissen eines Früherkennungsprogrammes von Leberzirrhose im Rahmen des Check-up 35 liefern und wesentliche Evidenz zur Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme beitragen. Projekte die durch den G-BA-Innovationsfonds gefördert werden haben bei positiver Evaluation das Potenzial, anschließend in die Regelversorgung übernommen zu werden. Daher ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse des Projekts die internationale Diskussion um die Sinnhaftigkeit und Effektivität eines Leberwert-Screenings voranbringen.