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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Charakteristika von Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen in der kardiologischen Anschlussrehabilitation – Implikationen für einen spezifischen Behandlungsbedarf

Meeting Abstract

  • Annett Salzwedel - Universität Potsdam, Professur für Rehabilitationswissenschaften, Potsdam
  • Miralem Hadzic - Universität Potsdam, Professur für Rehabilitationswissenschaften, Potsdam
  • Hermann Buhlert - Klinik am See, Rehabilitationszentrum für Innere Medizin, Rüdersdorf
  • Heinz Völler - Universität Potsdam, Professur für Rehabilitationswissenschaften, Potsdam

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf366

doi: 10.3205/18dkvf366, urn:nbn:de:0183-18dkvf3666

Published: October 12, 2018

© 2018 Salzwedel et al.
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Text

Hintergrund: Ein wesentliches Ziel der medizinischen Rehabilitation Berufstätiger ist die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, die für Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) erheblich erschwert sein kann. In der kardiologischen Anschlussheilbehandlung (AHB), in der zumeist die Bewältigung des Akutereignisses im Vordergrund steht, ist die betroffene Patientengruppe bislang nur unzureichend untersucht; adäquate Therapieansätze liegen nicht vor.

Fragestellung/Ziel: Ziel der explorativen Untersuchung war die differenzierte Charakterisierung der Population kardiovaskulär erkrankter BBPL-Patienten in der AHB, um so neue Anhaltspunkte zur zielgerichteten Betreuung dieser Gruppe zu gewinnen.

Methodik: In die retrospektive unizentrische Sekundärdatenanalyse wurden 884 konsekutive Patienten unter 65 Jahren eingeschlossen, die der kardiologischen AHB zwischen Oktober 2013 und März 2015 in Kostenträgerschaft einer DRV zugewiesen wurden. Der Datensatz umfasste in der Klinikroutine erhobene soziodemografische Angaben (z. B. Alter, Geschlecht, Bildungsstand), Diagnosen, Funktionsparameter (z. B. maximale Belastbarkeit in der Belastungsergometrie), psychische Belastungen der Patienten (hospital anxiety and depression scale [HADS]) wie auch sozialmedizinische Daten einschließlich des Status der Arbeitsfähigkeit und ärztlicher Empfehlungen bei Entlassung aus der AHB. Die Wahrscheinlichkeit einer BBPL wurde mittels Würzburger Screening bei Aufnahme in die AR identifiziert und deskriptiv wie auch inferenzstatistisch ausgewertet. Zusätzlich wurde unter Berücksichtigung der BBPL (negative subjektive Erwerbsprognose, Arbeitslosigkeit) ein Regressionsmodell zur Prognose des Status der Arbeitsfähigkeit bei Entlassung an die Daten angepasst.

Ergebnisse: Die untersuchten Patienten waren im Mittel 51,7 ± 6,7 Jahre alt und zu 76,5 % männlich. Von 384 (43,4 %) positiv auf eine BBPL gescreenten Patienten wiesen 368 (95,8 %) eine negative subjektive Erwerbsprognose auf. 113 Patienten (29,4 %) waren zusätzlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Patienten mit einer BBPL unterschieden sich in einer Vielzahl klinischer wie auch funktionaler Parameter signifikant von nicht betroffenen Patienten. Insbesondere war ihre physische Leistungsfähigkeit vermindert (Belastungsergometrie 100 ± 35 vs. 118 ± 33 Watt, 6-min-Gehtest 380 ± 84 vs. 421 ± 62 m, linksventrikukläre Ejektionsfraktion 54 ± 9 vs. 56 ± 9 %, für alle p < 0,01). Darüber hinaus litten sie häufiger an verschiedenen Komorbiditäten einschließlich psychischer Belastungen, welche sowohl in der anamnestischen Diagnose Depression (12 % der BBPL-Patienten vs. 3 % der Patienten ohne BBPL, p < 0,01) wie auch höheren Werten im HADS bei Aufnahme in die AHB (Depressivität 7,9 ± 4,3 vs. 4,9 ± 3,8, Ängstlichkeit 7,7 ± 4,4 vs. 5,9 ± 4,0, beide p < 0,01) Ausdruck fanden. Bei Entlassung wurde BBPL-Patienten häufiger eine psychologische Beratung bzw. Psychotherapie (11 vs. 2 % der Fälle, p < 0,01) sowie weitere diagnostische Klärung (29 vs. 22 %, p = 0,03) empfohlen. Gleichzeitig wurden vermehrt Einschränkungen der beruflichen Tätigkeit in Bezug auf psychische, orthopädische und sonstige Belastungsfaktoren attestiert (7 vs. 2; 39 vs. 22; 68 vs. 56 %, alle p < 0,01). Die Ausübung des letzten Berufs für ≥ 6 Std. war Patienten mit/ohne BBPL in 21 % bzw. 5 % (p < 0,01) nicht mehr möglich. 21 % der BBPL-Patienten (vs. 35 %, p < 0,01) wurden arbeitsfähig aus der AHB entlassen. Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Entlassungsstatus wurde dabei durch eine bereits vor dem Ereignis bestehende Arbeitsunfähigkeit um 62 % (95% CI 0,24-0,61, p < 0,01) und durch eine negative subjektive Erwerbsprognose um 57 % reduziert (95% CI 0,26-0,71, p < 0,01). Weitere negative Prädiktoren waren eine komorbide Depression, koronare Bypassoperation, Klappenkorrektur, arterielle Gefäßkrankheiten und chronische Atemwegserkrankungen, während Klappenerkrankungen, Diabetes mellitus, Arbeitslosigkeit und höhere körperliche Leistungsfähigkeit positiv assoziiert waren.

Diskussion: Bei hoher Prävalenz waren berufliche Problemlagen von Patienten in der kardiologischen AHB negativ mit einer höheren Krankheitslast, geringerer körperlicher Leistungsfähigkeit wie auch insbesondere psychosozialen Belastungen assoziiert. Der von fast allen BBPL-Patienten ungünstig eingeschätzten subjektiven Erwerbsprognose kam zusätzlich eine eigenständige Bedeutung als negativer Prädiktor der Arbeitsfähigkeit bei Entlassung zu.

Praktische Implikationen: Bei einer Vielzahl identifizierter Assoziationen scheint insbesondere die subjektive Erwerbsprognose Ausdruck eines psychosozialen Faktorengeflechts zu sein, so dass eine differenzierte Betrachtung im Rahmen des multimodalen Behandlungsansatzes der Rehabilitation erfolgen sollte. Positiv auf eine BBPL gescreente Patienten sollten insbesondere einer gezielten psychologischen Anamnese und ggf. Betreuung sowohl während als auch nach der AHB unterzogen werden.