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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Erarbeitung von Qualitätsindikatoren innerhalb deutscher S3-Leitlinienprojekte – Barrieren und förderliche Faktoren aus der Sicht von Leitlinienautoren

Meeting Abstract

  • Katrin Arnold - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Jessica Breuing - Universität Witten/Herdecke, Department für Humanmedizin, IFOM – Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Köln
  • Monika Becker - Universität Witten/Herdecke, Department für Humanmedizin, IFOM – Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Köln
  • Monika Nothacker - Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Medizin, AWMF-IMWi – Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften – Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Marburg
  • Jochen Schmitt - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Zentrum für Evidenzbasierte Versorgungsforschung (ZEGV), Dresden
  • Stefanie Deckert - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Zentrum für Evidenzbasierte Versorgungsforschung (ZEGV), Dresden

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf341

doi: 10.3205/18dkvf341, urn:nbn:de:0183-18dkvf3416

Published: October 12, 2018

© 2018 Arnold et al.
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Outline

Text

Hintergrund: S3-Leitlinien geben auf der besten verfügbaren Evidenz sowie formalem Expertenkonsens basierende Handlungsempfehlungen zu definierten Gesundheitsproblemen. Sie sind somit Instrumente der Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen. Auf S3-Leitlinienempfehlungen basierende Qualitätsindikatoren (QI) ermöglichen eine Messung des Umsetzungsgrades von Leitlinien und damit eine Beurteilung der Behandlungsqualität in der Gesundheitsversorgung. Ihre Erarbeitung im Rahmen der S3-Leitlinienerstellung ist seit 2005 im Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL-Programm) und seit 2008 im Leitlinienprogramm Onkologie (OL-Programm) vorgegeben, wohingegen im S3-Leitlinienprogramm der medizinischen Fachgesellschaften der AWMF (FG-Programm) hierzu keine Verpflichtung besteht. Ungeachtet dessen wurden seitdem Leitlinien im OL-/NVL-Programm ohne QI publiziert, andererseits auch FG-Leitlinien mit QI. Gründe für oder gegen die Formulierung von QI im Rahmen von Leitlinienprojekten sowie förderliche und hemmende Faktoren im Prozess der QI-Erarbeitung wurden bisher nicht systematisch untersucht.

Fragestellung: Aus der Perspektive von S3-Leitlinienautoren der drei genannten deutschen Leitlinienprogramme wurde exploriert

1.
welche Gründe für die Nicht-Formulierung oder Formulierung von QI im Rahmen der Erstellung von S3-Leitlinien ausschlaggebend sind und
2.
welche Faktoren im Fall einer Erarbeitung von QI förderlich bzw. hemmend wirken.

Methode: Basierend auf einer Bestandsaufnahme aller zum 31.07.2016 gültigen S3-Leitlinien des OL-, NVL- und FG-Programms erfolgte geschichtet nach Leitlinienprogramm die Selektion von 11 Leitlinien, die QI enthalten (Zufallsauswahl) und 11 Leitlinien, die keine QI enthalten (Zufallsauswahl für FG-, Vollerhebung für OL- und NVL-Leitlinien). Pro Leitlinie wurde ein leitfadengestütztes Interview mit einem Autor durchgeführt. Die Interviews wurden mittels qualitativer strukturierender Inhaltsanalyse ausgewertet.

Ergebnisse:

1.
Der am häufigsten genannte Grund für die Nicht-Formulierung von QI war bei FG-Leitlinienautoren, dass das Leitlinienprogramm oder die methodische Begleitung keinen entsprechenden Arbeitsauftrag erkennen ließ. Zudem wurden mangelnde finanzielle Ressourcen und fehlende Pilotierungsergebnisse bezüglich QI genannt. Unter NVL-Autoren dominierte der Grund, dass die QI-Erstellung im Leitlinienprozess eine vergleichsweise geringe Priorität einnahm und letztlich „hinten herunterfiel“. In einem Fall war Uneinigkeit innerhalb der Leitliniengruppe die Hauptursache dafür, dass keine QI entwickelt wurden. In der untersuchten OL-Leitlinie konnten gemäß interviewtem Autor aufgrund schwacher Evidenzbasis der Leitlinien-Empfehlungen sowie mangelnder Datenverfügbarkeit keine QI verabschiedet werden. Entscheidungsrelevant für die Erarbeitung von QI war im Fall der untersuchten FG-Leitlinien vorrangig die Überzeugung, dass QI für Qualitätsmessung und -sicherung wichtig sind. In der untersuchten NVL- und allen OL-Leitlinien war die im Leitlinienprogramm existierende Vorgabe, dass QI erarbeitet werden sollen, ausschlaggebend. OL-Autoren benannten zudem ausreichende Finanzmittel und die Überzeugung, dass QI wichtig sind.
2.
Als förderlich im Prozess der QI-Formulierung wurde programmübergreifend zuvorderst die methodische Unterstützung angegeben, die seitens des Leitlinienprogramms bereitgestellt wurde. Ebenfalls förderlich waren z.B. Vorkenntnisse bezüglich QI oder – benannt von OL-Autoren – vorhandene Finanzmittel für die QI-Erarbeitung und der manualisiert vorgegebene QI-Entwicklungsprozess. Als hemmend wurde programmübergreifend empfunden, dass die QI-Erarbeitung erst spät im Leitlinienprozess auf die Agenda rückte. Weitere häufig benannte Hemmnisse im Prozess waren der Zeitaufwand der QI-Erarbeitung und eine schwierige Umsetzbarkeit potenzieller QI aufgrund mangelnder Datenverfügbarkeit.

Diskussion: Es bestehen vielfältige Gründe für das Existieren oder Fehlen von QI in S3-Leitlinien, wobei je nach Leitlinienprogramm verschiedene Schwerpunkte deutlich werden. Die Verankerung eines entsprechenden Arbeitsauftrages im Leitlinienprogramm scheint für die regelhafte QI-Entwicklung eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung zu sein. Unter anderem spielen strukturelle Rahmenbedingungen von Leitlinienprojekten, wie etwa adäquate finanzielle Ressourcen, eine weitere bedeutende Rolle.

Praktische Implikationen: Ressourcenprobleme – besonders im FG-Programm - müssen adressiert werden, wenn die regelhafte QI-Erarbeitung angestrebt wird. Seitens der methodischen Begleitung sollte die Relevanz der QI-Formulierung frühzeitig an Leitliniengruppen herangetragen und die Umsetzung konsequent unterstützt werden. Die Implementierung entwickelter QI in das Versorgungssystem ist ein wichtiger Motivator für Leitliniengruppen, der außerhalb des OL-Programms noch zu wenig greift.