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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

„OurPuppet“ – Unterstützung durch eine interaktive Puppe und psychosoziale Begleitung für informell Pflegende

Meeting Abstract

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  • Verena Reuter - Institut für Gerontologie an der TU Dortmund, Dortmund; Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V.
  • Andrea Kuhlmann - Institut für Gerontologie an der TU Dortmund, Dortmund; Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V.

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf329

doi: 10.3205/18dkvf329, urn:nbn:de:0183-18dkvf3296

Published: October 12, 2018

© 2018 Reuter et al.
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Hintergrund: Menschen mit Demenz werden zu einem überwiegenden Teil in der eigenen Häuslichkeit von ihren pflegenden Angehörigen betreut, wobei diese Betreuungssituation für die Angehörigen mit großen Belastungen verbunden ist. Innovative technische Systeme werden zunehmend auch im Bereich der Pflege hinsichtlich ihrer Potentiale zur Entlastung und Unterstützung diskutiert.

Das interdisziplinäre Projekt "OurPuppet" verfolgt das Ziel, informell Pflegende insbes. von Menschen mit Demenz durch Einsatz innovativer Mensch-Technik-Interaktion mittels einer interaktiven Puppe zu unterstützen und zu entlasten. Die Puppe enthält moderne Sensorik sowie Kommunikationsfunktionalitäten und ist z.B. in der Lage, einfache Dialoge mit den Menschen mit Demenz zu führen, auf wiederkehrende Fragen zu antworten, je nach Situation zu Aktivitäten anzuregen oder zu beruhigen, Erinnerungen zu geben oder bei kurzen Abwesenheiten der Angehörigen telefonische Kontakte zu ausgewählten Personen herzustellen. Die Technikeinführung wird durch eigens geschulte PuppetBegleiterinnen psychosozial unterstützt. In einem Praxistest verbleibt die interaktive Puppe für mehrere Monate bei den teilnehmenden Familien, die in dieser Zeit einmal wöchentlich von den PuppetBegleiterinnen besucht werden.

Fragestellung: Im Rahmen des Projektes wird untersucht, inwiefern die Nutzenden eine technische Unterstützung in diesem sensiblen Bereich der Pflege und Betreuung ihres Angehörigen als Entlastung erleben und unter ethischen Aspekten bewerten. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, inwiefern der begleitete Einsatz der Puppe zu einer Verbesserung der Beziehungsqualität zwischen Pflegenden und zu Pflegenden beitragen kann. Der vorliegende Beitrag fokussiert die Frage, welche Erfahrungen die PuppetBegleiterinnen in den ersten Monaten bei ihren Besuchen in den teilnehmenden Familien machen – im Hinblick auf die Akzeptanz und Nutzung der interaktiven Puppe, die Bewertung der Nützlichkeit einzelner Funktionalitäten, das allgemeine Wohlbefinden der Nutzenden sowie die von den PuppetBegleiterinnen adressierten Themen während der Besuche und daraus abzuleitende Unterstützungsbedarfe der Angehörigen.

Methode: Es handelt sich um ein exploratives Studiendesign, in dem vorwiegend qualitative Methoden eingesetzt werden (Fokusgruppen, leitfadengestützte Interviews mit inhaltsanalytischer Auswertung), aber auch standardisierte Erhebungsinstrumente Verwendung finden (Evaluation der Schulung der PuppetBegleiterinnen, fortlaufende Dokumentation der Besuche der PuppetBegleiterinnen bei den Familien).

Ergebnisse: Erste Nutzertests zeigten eine grundlegende Offenheit von Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen gegenüber der Puppe. Teilweise geäußerte Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes (Kamera und Mikrofon der Puppe) erfordern die Berücksichtigung entsprechender Zugriffsrechte und Abschaltfunktionen. Inwiefern die technisch animierte Puppe im Alltag von der überwiegend nur wenig technikaffinen Zielgruppe genutzt wird und ein tatsächliches Entlastungspotential entfaltet, wird derzeit im Praxistest untersucht. Die Akzeptanz wird individuell sehr unterschiedlich ausfallen, so dass in jedem Fall eine selbstbestimmte Nutzung handlungsleitend sein muss. Die Evaluation der partizipativ entwickelten Schulung der PuppetBegleiterinnen zeigt, dass die Teilnehmenden sich gut auf ihren Einsatz vorbereitet fühlen und bestätigt die Relevanz der erarbeiteten Themen wie wertschätzende Kommunikation, Wahrnehmung und Beziehungsgestaltung für ihren Einsatz bei den teilnehmenden Familien.

Diskussion: Im Rahmen des Projektes erfolgt ausschließlich eine erste explorative Untersuchung der Akzeptanz des entwickelten Systems und der Bedarfe der Nutzenden. Umfangreichere Wirkungsanalysen müssen in weiteren Studien folgen, insbesondere wenn das System zu einer Marktreife geführt werden soll. Hier sind Fragen der Kostenträgerschaft, zu beteiligende Akteure sowie eine regelhafte Ausbildung der PuppetBegleiterinnen zu stellen. Für die PuppetBegleitung ist – unabhängig von einer Markteinführung der interaktiven Puppe – zu klären, inwiefern das Konzept zu einem niedrigschwelligen Begleitansatz im Sinne einer „Begleitung der Pflegebeziehung“ weiterentwickelt werden kann.

Praktische Implikationen: Reale Möglichkeiten technischer Unterstützung sollten auch im Bereich der Pflege nicht bereits im Vorfeld aus ethischen Gründen ausgeschlossen werden. Vielmehr ist ihr Einsatz, insbes. auch der damit verbundenen nichtintendierten Folgen, kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. So soll der Einsatz der interaktiven Puppe in keinem Fall die menschliche Zuwendung ersetzen, sondern ist stets nur als unterstützende Funktion zu sehen. Inwiefern die begleitete interaktive Puppe zu einer Entlastung pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz beitragen kann, wird derzeit im Praxistest untersucht.