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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Implementierung eines Modells der personenzentrierten, psychosozialen Komplexbetreuung an einem großen psychiatrischen Versorgungskrankenhaus

Meeting Abstract

  • Sandra Engemann - LVR – Landschaftsverband Rheinland, LVR Institut für Versorgungsforschung, Köln
  • Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank - LVR-Klinik Köln, LVR-Institut für Versorgungsforschung, Köln
  • Jürgen Zielasek - LVR-Klinik Köln, LVR-Institut für Versorgungsforschung, Köln
  • Josephine Heinz - LVR-Klinik Köln, LVR-Institut für Versorgungsforschung, Köln
  • Barbara Müller-Kautz - LVR-Klinik Köln, Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Köln

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf310

doi: 10.3205/18dkvf310, urn:nbn:de:0183-18dkvf3101

Published: October 12, 2018

© 2018 Engemann et al.
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Text

Hintergrund: Trotz einer flächendeckenden Versorgung kommt es gerade für schwer Erkrankte häufig zu Zwangsunterbringungen, freiheitseinschränkenden Maßnahmen im stationären Bereich sowie zu Drehtüreffekten in der stationären Versorgung. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Einfluss nehmen sowohl die Art der psychischen Erkrankung wie auch soziodemographische Merkmale der Patientinnen und Patienten, institutionsspezifische Faktoren sowie die Versorgung im ambulanten Bereich. Das vorgestellte Projekt umfasst die Implementierung und Evaluation eines neuen bedarfsorientierten und personenzentrierten psychosozialen Komplexbetreuungsmodells in einem Teilbereich eines großen psychiatrischen Versorgungskrankenhauses.

Fragestellung/Hypothese: Die Haupthypothese ist, dass durch die psychosoziale Komplexbetreuung zwangsweise stationäre Aufnahmen hinsichtlich der jährlichen Anzahl und der kumulativen Dauer pro Jahr reduziert werden können (Prä-Post-Vergleich und Vergleich mit einer Kontrollgruppe ohne psychosoziale Komplexbetreuung). Weitere Zielgrößen sind der Gesundheits- und Funktionszustand der Betroffenen, ihre Lebensqualität, soziale Inklusion und Teilhabe, und die Zufriedenheit mit dem neuen Versorgungsmodell.

Methode: Das Projekt fokussiert die Versorgung psychisch schwer Erkrankter, bei denen es in der Vergangenheit zu wiederholten unfreiwilligen stationären Aufnahmen gekommen ist, die die vorhandenen psychosozialen Hilfen nicht nutzen und eine eingeschränkte soziale Teilhabe aufweisen. Es wurden dazu Komplexbetreuungs-Fallmanager in der psychiatrischen Institutsambulanz und einer Station als Erweiterung der üblichen ambulanten und stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung der Betroffenen eingeführt, um individuell und bedarfsorientierte sektor- und leistungsträgerübergreifende koordinative Leistungen zu erbringen. Ein qualitätsverbesserndes Kernelement bildet ein an der Klinik erbrachtes Fallmanagement zur bedarfsgerechten Leistungssteuerung, und zur Erstellung von Individuellen Behandlungs- und Rehabilitationsplänen der beteiligten Versorgungsträger in Zusammenarbeit mit Leistungserbringern außerhalb der Köln. Ein wichtiges Element des neuen Versorgungsmodells sind auch aufsuchende Maßnahmen beispielsweise bei längeren Kontaktlatenzen der Betroffenen, um motivierend auf die Behandlungsteilnahme und die Aktivitäten des Alltags einzuwirken. Neu und über die „Hilfeplankonferenzen“ hinausgehend sind auch die Koordination aus einer psychiatrischen Klinik der Regelversorgung heraus sowie eine stärkere Beachtung somatischer Erkrankungen sowie der Psychopharmako-Therapie und des Nebenwirkungsmanagements.

Ergebnisse: Der Beitrag fokussiert darauf, das Versorgungsmodell wie auch dessen Implementierungsprozess darzustellen. Des Weiteren soll ein Ausblick gegeben werden auf die wissenschaftliche Evaluation des Modells, die derzeit in Vorbereitung ist.

Diskussion: Um den Versorgungsaufgaben für psychisch schwer Erkrankte besser gerecht zu werden, ist die Implementierung von Versorgungsmodellen der psychosozialen Komplexbetreuung schwer Betroffener erforderlich mit den Zielen, Zwangsaufnahmen zu verhindern, die Betroffenen zur Nutzung angebotener psychosozialer Hilfen zu motivieren und ihre soziale Teilhabe zu verbessern. Bisher erfolgreiche Versorgungsmodelle greifen dabei auf integrative Ansätze zurück und implementieren evidenzbasierte Komplexbetreuungsmodelle, die z.B. aus einem effektiven Medikations- und Nebenwirkungsmanagement, psychoedukativen Elementen, aufsuchenden Hilfen, zielorientiertem Skills-Training sowie psychotherapeutischen Elementen bestehen.

Praktische Implikationen: Das neue Versorgungsmodell integriert psychiatrische, allgemeinmedizinisch-somatische und Teilhabeaspekte als Kernbestandteile eines umfassenden Komplex-Versorgungsangebots. Es sollen damit insbesondere schwer Betroffene erreicht werden, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, die vorhandenen Hilfen bedarfsgerecht zu nutzen, oder die ausweislich früherer Zwangsunterbringungen bislang Hilfen nur in Notlagen oder auf äußere Veranlassung hin in Anspruch nahmen. Das neue Versorgungsmodell strebt eine verbesserte Nutzung und Vernetzung der örtlichen Einrichtungen des betreuten Wohnens, der Rehabilitation, der ambulanten Pflege, des sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamts, der niedergelassenen Ärzte und gemeindepsychiatrischen Zentren an.