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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Bericht aus dem Gutachten Ursachen von Geburtsschäden bei von freiberuflich tätigen Hebammen betreuten Geburten

Meeting Abstract

  • Anna Niemeyer - BQS Institut für Qualität & Patientensicherheit GmbH, Register & Studien, Hamburg
  • Sonja Holzäpfel - H&N- Projektmanagement (GBR), klinisches Risikomanagement, Völklingen
  • Patricia Gruber - Wetter
  • Eva Lampmann - BQS Institut für Qualität & Patientensicherheit GmbH, Hamburg
  • Wolf Lütje - Ev. Amalie Sieveking-Krankenhaus, Klinik f. Gynäkologie u. Geburtshilfe, Hamburg
  • Irina Beckedorf - BQS Institut für Qualität & Patientensicherheit GmbH, Register & Studien, Hamburg
  • Max Middendorf - Bergmann und Partner Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Ärztliches Haftpflichtrecht und Risk-Management, Hamm
  • Christiane Schwarz - Universität zu Lübeck, Sektion Medizin, Lübeck

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf305

doi: 10.3205/18dkvf305, urn:nbn:de:0183-18dkvf3059

Published: October 12, 2018

© 2018 Niemeyer et al.
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Text

Hintergrund: Die geburtshilfliche Versorgung durch Hebammen, vor allem durch freiberuflich Tätige, ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus politischer und gesellschaftlicher Diskussionen gerückt. Das Bundesministerium für Gesundheit hat 2017 ein Gutachten zu Ursachen von Geburtsschäden bei von freiberuflich tätigen Hebammen betreuten Geburten in Auftrag gegeben. Ziel war es die tatsächliche Datenlage zu untersuchen und aus der Analyse Erkenntnisse über Schadensursachen sowie Ansätze für die Verbesserung der Versorgung abzuleiten. Die Ergebnisse des Gutachtens sollen nutzbringend zur Qualitätssicherung bzw. Fehlervermeidung in der Geburtshilfe eingebracht werden.

Fragestellungen:

  • Welche Kontextfaktoren werden bei Geburtsschäden retrospektiv identifiziert?
  • Welche Maßnahmen werden angewandt, um die Patientensicherheit in der Geburtshilfe zu erhöhen
  • Gibt es Unterschiede zwischen Berufsgruppen?
  • Welche Risikofaktoren gibt es und wie risikoreich werden die jeweiligen Kontextfaktoren eingeschätzt??
  • Welche Unterstützung benötigen Beteiligte, um nach erlebtem Geburtsschaden arbeitsfähig zu bleiben / werden?

Methode: Neben einer systematischen Literaturrecherche und einer juristischen Untersuchung des Verschuldensgrades in der Geburtshilfe wurde eine Schadensliste des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. mit 95 Schadensfällen analysiert. Im Anschluss folgten 20 halbstrukturierte Interviews mit Versicherern und Expert*innen des Sektors, um die Datenlage zur Situation von freiberuflichen Hebammen in Deutschland besser beurteilen zu können. Zusätzlich wurde eine Onlinebefragung (15.09.-15.12.17) mit geburtshilflich tätigen Hebammen und Ärzt*innen (950 TN), eine Open Space Konferenz (11/2017, 37 TN) sowie eine Diskussionsplattform „Themenmarktplatz“ auf dem Perinatalkongress (12/2017, 224 TN am Stand) durchgeführt. Insgesamt wurden auf diesen beiden Veranstaltungen Lösungsansätze und Sicherheitsmaßnahmen zu den Themenbereichen Dokumentation, Sicherheitskultur, Schnittstellen in der Klinik, Qualitäts- und Risikomanagement, klinische / außerklinische Schnittstellen, Aus- Fort- und Weiterbildung wurden erarbeitet, diskutiert und vertiefende Gespräche mit 261 Akteur*innen aus verschiedenen Sektoren geführt.

Ergebnisse: Eine Analyse von Schadensfällen bei von freiberuflich tätigen Hebammen ist nur sinnvoll unter Einbeziehung des Kontextes. Dazu gehören andere beteiligte Berufsgruppen, aber auch systemische Aspekte der geburtshilflichen Versorgung im ambulanten und stationären Sektor.

Die Begleitumstände von Schadenssituationen sind vielfältig und multidimensional. In der Online-Befragung wurden im Durchschnitt neun risikobehaftete Begleitumstände pro Fall genannt.

Mangelhafte Kommunikation und Kooperation im Team, fehlende Erfahrung und Wissen sowie unzureichende Personalbesetzung sind neben individuellen Risikofaktoren der Mutter die häufigsten Risikofaktoren. Zeitverzögerungen in Entscheidung und Durchführung von Interventionen oder bei der Verlegung sind weitere Risiken. Die Wahrnehmung und Einschätzung der Wichtigkeit einzelner Risikofaktoren unterscheidet sich deutlich zwischen den Berufsgruppen.

Eine hohe Anzahl der Befragten in der Online-Befragung gibt an, mehrmals Erfahrungen mit Geburtsschäden gemacht zu haben, und diese nicht oder kaum aufgearbeitet zu haben. Ähnliche Ergebnisse lassen sich in der Literaturrecherche und in den durchgeführten Interviews finden.

Diskussion: Systemische und prozessbezogene Faktoren bleiben im Qualitätssicherungsverfahren 16/1 nach §136a weitgehend unberücksichtigt. Insbesondere Kommunikationsprobleme an den Schnittstellen werden nicht identifiziert. Strukturparameter werden nur rudimentär in der Zusammensetzung des Teams erhoben. Die im Rahmen dieses Gutachtens erfassten Risikofaktoren wie die o.g. Teamfaktoren und prozessbezogene Aspekte wie Zeitverzögerungen können aus dem QS-Verfahren ebenfalls nicht abgeleitet werden. Zahlreiche Interventionen und Tools sind im internationalen Kontext entwickelt und stehen auch in Deutschland zur systematischen Implementierung bereit. Es besteht jedoch weiterhin Bedarf, Einzelmaßnahmen und Pakete unter realen Bedingungen systematisch umzusetzen und ihre Effektivität und Effizienz zu bewerten.

Praktische Implikationen: Als Maßnahmen zur Erhöhung der Ergebnisqualität und der Patientensicherheit ergeben sich folgende Implikationen:

  • Durchführung von interdisziplinären und intersektoralen Fallbesprechungen
  • (Verpflichtende) Schulungen zu Hochrisikoarzneimitteln und ihren (Neben-)wirkungen
  • Regelmäßige standardisierte Reanimations-und Notfalltrainings
  • Schulungen zu Leitlinien und Standards in der Geburtshilfe und zur fachgerechten Diagnostik
  • Standards bzw. Checklisten zur angemessenen intra-und postpartalen Überwachung
  • Schulungen und Dokumentationschecks zur rechtssicheren Dokumentation und Aufklärung.