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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Kulturelle Diversität in der Versorgung am Lebensende – Alles (k)ein Problem?

Meeting Abstract

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  • Silke Migala - Freie Universität Berlin, Erziehungswissenschaft und Psychologie, Berlin
  • Uwe Flick - Freie Universität Berlin, Erziehungswissenschaft und Psychologie, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf283

doi: 10.3205/18dkvf283, urn:nbn:de:0183-18dkvf2833

Published: October 12, 2018

© 2018 Migala et al.
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Hintergrund: Durch das neue Hospiz- und Palliativgesetz soll eine bestmögliche menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege und Betreuung am Lebensende ermöglicht werden. Im Verständnis von Palliative Care gilt dies für alle Menschen – unabhängig von deren individuellen, soziokulturellen und religiösen Bedürfnissen und Zugehörigkeiten. Dies markiert eine wichtige Zielsetzung in unserer zunehmend in Diversität alternden Gesellschaft. Diese umzusetzen, bedarf es auf verschiedenen Ebenen noch erheblicher Anstrengungen. So wird darauf verwiesen, dass vor allem die Versorgungsstrukturen der allgemeinen Palliativversorgung den damit verbundenen Herausforderungen noch nicht gerecht werden. Zugleich wird kritisch hinterfragt, inwiefern das zugrundgelegte Autonomieverständnis der Medizin und Pflege für den Umgang mit dem Lebensende geeignet ist. Der Blick auf besonders vulnerable Gruppen, zu denen z.B. Menschen mit Migrationshintergrund gehören, zeigt, dass eine diskriminierungsfreie Versorgung ebenfalls eine noch zu bewältigende Aufgabe darstellt.

Fragestellung: Im Mittelpunkt eines vom BMG geförderten Projekts steht die Frage nach der Verantwortung von Organisationen, in denen entsprechend der benannten Implikationen eine diversitätssensible Versorgung gestaltet und ermöglicht werden soll. Ein besonderes Interesse gilt dabei dem normativen Gehalt von Konzepten der Interkulturalität oder des Diversity Managements sowie der ethischen Bedeutung, die ihnen aus verschiedenen Perspektiven für eine gute und gerechte Versorgung in unterschiedlichen Settings zugeschrieben wird.

Methode: Für die Untersuchung wird eine interdisziplinäre Forschungsperspektive eingenommen, in der verschiedene Methoden qualitativer Sozialforschung trianguliert und in ihrer Begründung und Anwendung im Sinne einer empirisch informierten Ethik systematisch reflektiert werden. Neben einer Sekundäranalyse von Daten aus episodischen Interviews mit Sterbenden und Angehörigen (n=46, mit und ohne Migrationshintergrund) und einer Diskursanalyse gesundheitspolitischer Stellungnahmen wurden Expert_inneninterviews mit Führungskräften (n=30) aus der Pflege und Sozialen Arbeit in unterschiedlichen Settings (ambulant und stationär) der Versorgung am Lebensende geführt.

Die Interviews wurden im Sinne des thematischen Kodierens fallvergleichend hinsichtlich der Vorstellungen und Einschätzungen von Bedingungen für eine gute und diversitätssensible Versorgung am Lebensende analysiert. Die weitere Analyse zielte auf die Entwicklung einer Typologie. Im Prozess wurden die verdeutlichten Positionierungen und Überzeugungen kontinuierlich im Lichte der leitenden ethischen Prinzipien der Medizin und Pflege reflektiert.

Ergebnisse: Für das Wahrnehmen von und Umgehen mit Diversität am Lebensende zeigen sich verschiedene Deutungs- und Handlungsorientierungen: eine individuelle Pflege erbringen, eine pflegerische Kompetenz sicherstellen, eine ethische Haltung entwickeln, eine individuelle und kollektive Verantwortung erwarten. Die Orientierungen können hinsichtlich einer guten Pflege, die wesentlich in der holistischen Anerkennung der zu pflegenden Person und einer vertrauensvollen Beziehung zu ihr sichtbar wird, als ein wechselseitiges Bedingungsgefüge gefasst werden. Die Möglichkeiten und Grenzen des Gelingens werden auf verschiedenen Ebenen vor dem Hintergrund (nicht)vorhandener Kontextbedingungen reflektiert. So kann Diversität letztlich als integrierter Bestandteil, als Bereicherung oder zusätzliche Herausforderung pflegerischer Arbeit wahrgenommen werden.

Diskussion: Die Diskussion erörtert, ob es sich bei den Konzepten der interkulturellen Öffnung oder des Diversity Managements um Ansätze handelt, die mit einem normativ ethischen Anspruch an eine gute Versorgung am Lebensende der Praxis einerseits und denen der grundlegenden Prinzipien der Medizin- und Pflegeethik andererseits vereinbar sind. Anschließend werden Überlegungen dargelegt, inwieweit durch Ansätze der Care Ethik alternative Handlungsmöglichkeiten begründet werden können.

Praktische Implikationen: In einer tatsächlichen Anerkennung von Gleichwertigkeit der Menschen liegt das Potenzial eines ethischen Verständnisses von Diversität. Eine – sich hier in der Praxis implizit zeigende – ethische Perspektive auf Diversität sollte in den Organisationen der Versorgung am Lebensende explizit gestärkt werden. Dies kann dazu beitragen, die Konzepte nicht nur als Legitimitätsstrategie zu gebrauchen bzw. als Label mit Außenwirkung aufzubauen. Darüber hinaus kann die Gefahr minimiert werden, durch eine Fokussierung auf ökonomische Aspekte bei mittelfristig fehlenden messbaren Ergebnissen ganz davon abzulassen.