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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Psychopharmaka – Entscheidungsabläufe in brandenburgischen Pflegeheimen (PEA)

Meeting Abstract

  • Susann May - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Psychiatrie und Psychotherapie, Rüdersdorf
  • Timo Greiner - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Psychiatrie und Psychotherapie, Rüdersdorf
  • Samuel Thoma - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Psychiatrie und Psychotherapie, Rüdersdorf
  • Ulrich Schwantes - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Allgemeinmedizin, Oberkrämer
  • Sebastian von Peter - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Psychiatrie und Psychotherapie, Rüdersdorf
  • Martin Heinze - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Psychiatrie und Psychotherapie, Rüdersdorf

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf264

doi: 10.3205/18dkvf264, urn:nbn:de:0183-18dkvf2643

Published: October 12, 2018

© 2018 May et al.
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Outline

Text

Hintergrund: Nationale und internationale Studien weisen auf einen inadäquaten Gebrauch von Psychopharmaka und einen hohen Konsum psychotroper Medikamente bei Heimbewohnern hin [1], [2], [3]. Gleichzeitig steigen Komorbidität und Polypharmazie und das damit verbundene Risiko von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die zu Stürzen und Krankenhausaufenthalten führen können. Die Verschreibungspraxis der Psychopharmaka ist oft unspezifisch [4], [5], wobei die Unkenntnis der Wechselwirkungen bei Pflegenden und Patienten [2] sowie ein geringer Personalschlüssel der Pflegenden [6] als ursächlich angesehen werden. Zudem wirken Pflegende auf das Verordnungsverhalten der Ärzt_innen ein [7]. Die Situation im Land Brandenburg ist von besonderem Interesse, weil der Anteil pflegebedürftiger Menschen dort in allen Altersgruppen höher ist als in Gesamtdeutschland [8].

Fragestellungen:

  • Welche Verordnungs-, bzw. Vergabemuster von Psychopharmaka lassen sich in brandenburgischen Pflegeheimen identifizieren?
  • Welche Determinanten bzw. Faktoren beeinflussen dieses Verordnungs- und Vergabemuster in brandenburgischen Pflegeheimen?

Methode: Zum Einsatz kam ein Mixed-Method-Ansatz: Es wurden die Diagnosen und Medikationen von 398 Pflegeheimbewohner_innen aus vier Heimen in Brandenburg erhoben und ausgewertet. Anschließend wurden Leitfadeninterviews und Fokusgruppen mit Pflegenden und verordnenden Ärzt_innen sowie Angehörigen von Bewohner_innen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einer Nacherhebung validiert.

Ergebnisse: Der Konsum von Psychopharmaka in Pflegeheimen ist mit etwa 70% hoch. Bei knapp zwei Drittel der Bewohner kamen Medikamente mit sedierenden Eigenschaften wie z.B. Melperon oder Pipamperon zum Einsatz. Bei 62% der Bewohner war die Indikation für eine Psychopharmakaverordnung unklar oder fraglich.

Nahezu alle Pflegenden und Ärzt_innen äußerten sich eher kritisch gegenüber Psychopharmaka und waren der Überzeugung, zurückhaltend bei der Verordnung von Psychopharma zu sein. Die Pflegenden nehmen eine zentrale Rolle im Verschreibungsprozess von Psychopharmaka ein: Zur Indikation und zum Verlauf der Psychopharmakotherapie schätzten sie sich als kompetent ein. Diese Einstellung zeigte sich auch darin, dass sie sich untereinander über Medikationen beraten und stellenweise selbstständig Entscheidungen treffen. In den Interviews wurde ein Mangel an fachärztlicher Betreuung beklagt. Einige der befragten Hausärzt_innen, die die psychopharmakologische Versorgung der Bewohner_innen übernahmen, fühlten sich in ihren Verordnungen unsicher und wünschten sich fachärztliche Unterstützung. Hinweise, dass der Facharztmangel in den untersuchten Regionen als ursächlich für einen inadäquaten Psychopharmakakonsum ist, konnten identifiziert werden.

Diskussion: Die Ergebnisse dieser Studie zeigen in Übereinstimmung mit anderen nationalen und internationalen Studien eine hohe Verordnungsrate von Psychopharmaka in brandenburgischen Pflegeheimen. Eine Optimierung der psychopharmakologischen Versorgung in brandenburgischen Pflegeheimen durch spezifische Interventionen ist notwendig.

Praktische Implikationen: Vor allem Pflegende und auch Hausärzt_innen müssen für den Umgang mit Psychopharmaka in Pflegeheimen sensibilisiert werden. Ein Bewusstsein für Interaktionsrisiken sollte geschaffen und gleichzeitig die Reduktion der Psychopharmaka angestrebt werden. Konkrete Umsetzungen könnten Schulungen oder Intervisionsgruppen für Pflegende sein. Denkbar wären auch telemedizinische Konsultationen für Hausärzte.

Eine Förderung erfolgte durch den Gesundheitscampus Brandenburg - Förderkennzeichen GeCa-H228-05/002/016.


Literatur

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2.
Förster, et al. Aspekte der Substanzabhängigkeit im Alter aus geriatrisch-gerontopsychiatrischer Sicht. Suchttherapie. 2009;10:12-16.
3.
Azermai M, Elseviers M, Petrovic M, Van Bortel L, Vander Stichele R. Geriatric drug utilisation of psychotropics in Belgian nursing homes. Hum Psychopharmacol. 2011 Jan;26(1):12-20. DOI: 10.1002/hup.1160 External link
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6.
Cioltan H, Alshehri S, Howe C, Lee J, Fain M, Eng H, Schachter K, Mohler J. Variation in use of antipsychotic medications in nursing homes in the United States: A systematic review. BMC Geriatr. 2017 01;17(1):32. DOI: 10.1186/s12877-017-0428-1 External link
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Schwinger A, et al. Herausforderndes Verhalten bei Demenz: Die Sicht der Pflege. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, et al., Hrsg. Pflege-Report 2017 Schwerpunkt: Die Pflegenden im Fokus. Stuttgart: Schattauer; 2017. S. 131–152.
8.
Laag S, et al. Verantwortung gemeinsam tragen – die ärztliche Versorgung von Pflegeheimpatienten braucht eine Neuordnung. In: Repschläger U, Claudia Schulte C, Osterkamp N, Hrsg. BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2014 - Beiträge und Analysen. S. 292-309. (Gesundheitswesen aktuell).