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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Unterschiedliche Verordnungsraten bei Frauen und Männern mit koronarer Herzkrankheit. Hat das Disease Management Programm die Lücke geschlossen?

Meeting Abstract

  • Bernd Hagen - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, DMP-Projektbüro, Köln
  • Sabine Groos - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, DMP-Projektbüro, Köln
  • Jens Kretschmann - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, DMP-Projektbüro, Köln
  • Christine Macare - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, DMP-Projektbüro, Köln
  • Arne Weber - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, DMP-Projektbüro, Köln

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf260

doi: 10.3205/18dkvf260, urn:nbn:de:0183-18dkvf2602

Published: October 12, 2018

© 2018 Hagen et al.
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Text

Hintergrund: Seit den 1990er Jahren ist in Deutschland die, durch eine koronare Herzerkrankung (KHK), eine Herzinsuffizienz bzw. einen Herzinfarkt bedingte Sterblichkeit sowohl bei Frauen als auch bei Männern deutlich rückläufig (vgl. Deutscher Herzbericht). Frauen weisen allerdings im Vergleich zu Männern weiterhin eine höhere Sterberate infolge einer Herzinsuffizienz auf. Vor diesem Hintergrund erscheint es bedeutsam, dass in einer Reihe von Studien (EUROASPIRE, SURF) oder Analysen nationaler Kohorten anhaltende Differenzen bei den Verordnungsraten prognoserelevanter, evidenzbasierter Medikationen nachgewiesen wurden. Nicht zuletzt um solche Unterschiede zu verringern und die Sekundärprävention der KHK insgesamt zu verbessern, wurde 2004 ein entsprechendes Disease Management Programm (DMP) deutschlandweit in der hausärztlichen ambulanten Versorgung etabliert. Neben solchen Zielen wie dem Reduzieren des Blutdrucks oder dem Rauchverzicht zählt die Erhöhung der Verordnungsraten bei den prognoserelevanten Medikationen zu den vertraglich definierten Qualitätszielen dieses DMP. Diese Ziele sind auch zentraler Gegenstand der halbjährlich an die teilnehmenden Praxen ausgesandten Feedback-Berichte.

Fragestellung: Die Verordnungsraten aus den Jahren 2008 und 2016 für Thrombozyten-Aggregationshemmer (TAH), Beta-Blocker, ACE-Hemmer/Sartane (bei KHK-Patienten mit Herzinsuffizienz) sowie für Statine wurden vergleichend analysiert. Sind diese Raten angestiegen und haben sich die Unterschiede hierbei zwischen Frauen und Männern im Zeitverlauf verringert?

Methode: Zwei separate Querschnittanalysen wurden für zwei Kohorten aus der Population gesetzlich Krankenversicherter mit KHK durchgeführt (2008, n = 186.599 Patienten, mittleres Alter 70,2 ± 10,3 Jahre, 63,2 % männlich; 2016, n = 248.471 Patienten, mittleres Alter 72,2 ± 11,1 Jahre, 63,8 % männlich). Diese Analysen erfolgten stratifiziert nach Alter und Geschlecht innerhalb der Region Nordrhein. In separaten logistischen Regressionsmodellen wurde der Einfluss des Faktors Geschlecht (männlich vs. weiblich) untersucht, kontrolliert für die Kovariaten Alter, Komorbidität, Teilnahmedauer und Koronarinterventionen.

Ergebnisse: Insgesamt zeigten die Verordnungsraten einen ansteigenden Trend, der bei den weiblichen Patienten ausgeprägter als bei den männlichen Patienten war (weiblich, TAH: 77,5 % vs. 79,3 %, Beta-Blocker: 74,3 % vs. 77,7 %, ACE-Hemmer: 71,1 % vs. 74,2 %, Statine: 64,3 % vs. 71,0 %, männlich, TAH: 84,6 % vs. 85,6 %, Beta-Blocker: 79,1 % vs. 80,2 %, ACE-Hemmer: 77,0 % vs. 78,8 %, Statine: 74,8 % vs. 79,3 %, jeweils 2008 vs. 2016). Infolge dieser Trends verringerten sich im Zeitverlauf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen (TAH: +7,1 % vs. +6,3 %, Beta-Blocker: +4,8 % vs. +2,5 %, ACE-Hemmer: +5,9 % vs. +4,6 %, Statine: +10,5 % vs. +8,3 %, jeweils 2008 bzw. 2016, positiv = höhere Raten bei männlichen Patienten). Sie blieben allerdings relativ groß vor allem bei Statinen und TAH. In den logistischen Regressionsmodellen erwies sich der Faktor Geschlecht weiterhin als bedeutsam, d. h. auch 2016 hatten männliche Patienten eine höhere Chance, TAH (OR 1,25; CI-95% 1,22–1,28), ACE-Hemmer (1,14; 1,09–1,20) und Statine (1,23; 1,20–1,26) verordnet zu bekommen, allerdings galt dies nicht für die Verordnung von Beta-Blockern (0,98; 0,96–1,00).

Diskussion: Die Sekundärprävention der KHK hat sich im Zeitverlauf eines DMP, welches im Sinne einer Reihe vertraglich definierter Qualitätsziele einen starken Fokus legt auf die Verordnung prognoserelevanter Medikationen, insgesamt offenbar deutlich verbessert. Die Unterschiede bei den Verordnungsraten zwischen Frauen und Männern haben sich dabei tendenziell verringert, sind aber nicht verschwunden. Auch 2016 war das Geschlecht (zugunsten der männlichen Patienten) weiterhin ein signifikanter Prädiktor für die Chance einer Verordnung bei drei der vier hier untersuchten Medikationen. Diese Ergebnisse zeigen, dass es weiterhin für die ambulante hausärztliche Versorgung von KHK-Patientinnen eine Herausforderung bedeutet, deren medikamentöse Sekundärprävention zu verbessern bzw. auf das Niveau der männlichen KHK-Patienten anzuheben.

Praktische Implikationen: Trotz eines allgemeinen Rückgangs der Sterberaten infolge kardio-vaskulärer Erkrankungen weisen Frauen in Deutschland weiterhin höhere Sterberaten infolge einer Herzinsuffizienz auf als Männer. Hierbei handelt es sich um eine Bevölkerungsgruppe mit einem hohen Durchschnittsalter, einer hohen Belastung durch Komorbidität sowie vermutlich ebenfalls einem hohen Anteil von Patientinnen mit Polypharmazie. Trotzdem ist zu fordern, auch in dieser Gruppe die Bemühungen um eine verbesserte medikamentöse Sekundärprävention zu verstärken und in höherem Ausmaß als bislang prognoserelevante Medikationen zu verordnen.