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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Alltagsrelevant oder doch nur graue Theorie? – Health Literacy im hausärztlichen Kontext

Meeting Abstract

  • Mona Voigt - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Nachwuchsgruppe Rehaforschung, Oldenburg
  • Michael Levelink - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Nachwuchsgruppe Rehaforschung, Oldenburg
  • Ove Spreckelsen - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Allgemeinmedizin, Oldenburg
  • Michael Freitag - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Allgemeinmedizin, Oldenburg
  • Anna Levke Brütt - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Nachwuchsgruppe Rehaforschung, Oldenburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf220

doi: 10.3205/18dkvf220, urn:nbn:de:0183-18dkvf2202

Published: October 12, 2018

© 2018 Voigt et al.
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Text

Hintergrund: Health Literacy (engl., Gesundheitskompetenz) bezeichnet die Fähigkeit von Menschen Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und anzuwenden. So können gesundheitsbezogene Entscheidungen getroffen und nach ihnen gehandelt werden, mit dem Ziel, eine hohe Lebensqualität zu erreichen.

Repräsentative Studien zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Bevölkerung über kein adäquates Health Literacy-Niveau verfügt. Über Konsequenzen für das Gesundheitssystem und insbesondere die Arzt-Patienten-Beziehung im hausärztlichen Bereich ist weniger bekannt.

Fragestellung: Die Fragestellungen lauten:

  • In welchen Patientengruppen, bei welchen Erkrankungen und in welchen Situationen spielt Health Literacy im hausärztlichen Kontext eine besondere Rolle?
  • Welchen Einfluss hat Health Literacy auf die Behandlung von Patienten im hausärztlichen Kontext?

Methode: Die Fragebogenbefragung fand zwischen Oktober 2017 und Dezember 2017 statt. Es wurden im hausärztlichen Setting Arbeitende (Allgemeinmediziner, Internisten, Ärzte in Weiterbildung, Medizinische Fachangestellte) befragt. Zur Auswertung der beschriebenen Erfahrungen zum Thema Health Literacy wurde die thematic analysis (Clarke & Braun, 2014) herangezogen. Angewendet wird eine Kombination aus induktivem und deduktivem Vorgehen. Im ersten Schritt wurden für die Fragestellungen relevante Textstellen identifiziert und den Kategorien Patientengruppen, Erkrankungen, Situationen und Einfluss zugeordnet. Im zweiten Schritt wurden die Kategorien induktiv differenziert. Auf Basis des Kategoriensystems wurden Einflüsse von Health Literacy auf die Behandlung von Patienten im hausärztlichen Kontext herausgestellt.

Die Auswertung erfolgte in einer Auswertungsgruppe, um die Intersubjektivität als Qualitätskriterium qualitativer Verfahren zu berücksichtigen.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen 31 Ärzte und eine Medizinische Fachangestellte an der Befragung teil. Das Durchschnittsalter betrug 44,4 Jahre. 45,2 % der Teilnehmer waren weiblich und 54,8% männlich. An der Befragung nahmen 18 Allgemeinmediziner, drei Internisten, acht Ärzte in Weiterbildung, eine Medizinische Fachangestellte und ein Arzt der Fachrichtungen Allgemeinmedizin und Innere Medizin teil. Anhand der Angaben der Befragten wurde die Kategorien Patientengruppen, Erkrankungen, Situationen und Einfluss wie folgt aufgeschlüsselt: Die Kategorie „Patientengruppe“ wurden in die Unterkategorien jüngere Patientengruppen, ältere Patientengruppen, Bildungsniveau, sozialer Status und Migrationshintergrund differenziert. Zur Kategorie „Erkrankungen“ konnten drei Subkategorien (chronische- somatische Erkrankungen, psychische Erkrankungen, akute- somatische Erkrankungen) gebildet werden. Die Unterkategorien Informationsbeschaffung, Shared Decision Making und Inanspruchnahme beschrieben die Kategorie „Situationen“ genauer. In der Kategorie „Einfluss“ wurden Informationsbewertung, keine Relevanz, Gesundheitsverhalten sowie Vorstellung über Diagnostik/ Therapie geordnet. Die Befragten hielten Health Literacy in der Informationsbeschaffung und der partizipativen Entscheidungsfindung für relevant. Sie sahen außerdem einen Zusammenhang zwischen hoher bzw. niedriger Gesundheitskompetenz und der Qualitätsbewertung von Informationen. Nach Angaben der Teilnehmer spielt bei jüngeren und älteren Patientengruppen und bei chronischen und akuten somatischen Erkrankungen Health Literacy eine besondere Rolle im hausärztlichen Kontext.

Diskussion: In dieser Studie wurden jüngere Patientengruppen mit akuten- somatischen Erkrankungen und Personen mit einer chronischen- somatischen Erkrankung beschrieben, die häufig Gesundheitsinformationen über das Internet oder die Medien suchen, wodurch ihre Vorstellung über eine bestimmte Diagnostik oder Therapie geprägt wird. Außerdem wurden von den im hausärztlichen Setting Arbeitenden berichtet, dass bei niedriger Health Literacy Schwierigkeiten bei der Bewertung von Informationen verschiedenster Quellen bestehen.

Auch bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die einen hohen Wissens- und Aufklärungsbedarf haben, hielten die Befragten Health Literacy bei der Informationsbeschaffung für relevant. Jedoch ist anzumerken, dass die Ergebnisse aus der Befragung einer kleinen und selektiven Stichprobe abgeleitet wurden.

Praktische Implikationen: Health Literacy stellt derzeit ein prominentes Thema in Wissenschaft und Forschung dar. Weiterer Forschungsbedarf besteht, um den Einfluss von Health Literacy im hausärztlichen Kontext zu beschreiben und mögliche Interventionen unter Berücksichtigung der Health Literacy der Patienten zu entwickeln.