gms | German Medical Science

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Kontextabhängigkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse von randomisiert-kontrollierten Studien am Beispiel von Studien zu Atemnot-Ambulanzen in England und Deutschland

Meeting Abstract

  • Michaela Schunk - Klinikum der Universität München, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, München
  • Julika Dittmer - Klinikum der Universität München, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, München
  • Sabine Streitwieser - Klinikum der Universität München, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, München
  • Zulfiya Syunyaeva - Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik und Poliklinik V, München
  • Rudolf Maria Huber - Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik und Poliklinik V, München
  • Claudia Bausewein - Klinikum der Universität München, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, München

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf212

doi: 10.3205/18dkvf212, urn:nbn:de:0183-18dkvf2128

Published: October 12, 2018

© 2018 Schunk et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Zur verbesserten Versorgung von Patienten mit therapierefraktärer Atemnot im Rahmen der frühen palliativmedizinischen Mitbehandlung wurden in England symptomorientierte, spezialisierte multiprofessionelle Atemnot-Ambulanzen eingerichtet und in zwei randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) untersucht. Die palliativmedizinische und die pneumologische Versorgung von Patienten in England weist länderspezifische Charakteristika auf. Da sich die Forschungsergebnisse somit nicht direkt auf andere Gesundheitssysteme übertragen lassen, wird eine RCT in Deutschland durchgeführt, die an das Studienprotokoll der Londoner RCT angelehnt ist.

Fragestellung: Welche kontextuellen Einflussfaktoren müssen bei Studien zur Wirksamkeit und Effektivität dieses Behandlungsansatzes berücksichtigt werden?

Methode: Vergleich von Merkmalen (Setting, Behandlungskonzept, Patienten- und Krankheitsmerkmale sowie Studiendurchführung) der RCT in London und der deutschen RCT anhand einer schematischen Zusammenstellung von wesentlichen Einflussfaktoren auf externe Validität. Daten über die englische Studie werden der entsprechenden Publikation entnommen [1], Informationen zur deutschen Studie stammen aus dem laufenden Studien-Monitoring und sind vorläufig.

Ergebnisse: Bei vergleichbarem Programmaufbau war die Behandlungsdauer in der deutschen Studie länger (UK: 4 Wochen; D: 6 Wochen), mit stärkerer Gewichtung der physiotherapeutischen Komponente (UK: 1 Termin; D: 4 Termine). Deutliche Unterschiede zeigen sich hinsichtlich der Standardbehandlung (UK: Hausarztmodell, Fachärzte in Klinikambulanzen; D: Haus- und Fachärzte im ambulanten Bereich). Ein- und Ausschlusskriterien sind vergleichbar. Die Rekrutierung erfolgte in den UK über das Screening von Patientenlisten und Anschreiben der Patienten, in Deutschland durch Überweisungen und überwiegend über die Selbstmeldung von Patienten. 21% der kontaktierten Patienten der englischen Studie konnten nicht erreicht werden (47/216). Die Teilnahme abgelehnt haben 13% der kontaktierten Patienten in der englischen Studie (29/216) und 14% (44/306) in der deutschen Studie. In der englischen Studie lagen bei 16% (35/216) der Patienten Ausschlussgründe vor, in der deutschen bei 37% (101/306; n=50 davon wegen unklarer oder unpassender Grunderkrankung). Das Alter der eingeschlossenen Patienten (UK: n=105; D: n=129) ist vergleichbar (UK: 68J.; D: 69J). Unterschiede bestehen bei der Geschlechterverteilung (Frauen: UK:42%, D:50%), dem Vorhandensein einer Hauptbezugsperson (UK: 71%, D:77%) und der Verteilung der Grunderkrankungen (COPD UK: 54%, D:57%; Tumor UK:20%, D:9%; Interstitielle Lungenerk. UK: 18%, D: 9%; KHK UK: 5%; D: 9%; Andere UK: 3%; D:16%). Die mit dem Chronic Respiratory Questionnaire (CRQ) und der Numerical Rating Scale (NRS) bei Baseline erhobene Symptombelastung zeigt schlechtere Werte bei den Patienten der englischen Studie (m(s)): CRQ –Gesamtscore: UK 3,0 (1,0); D 3,7 (0,8); NRS bei Belastung: UK 8.3 (1,4); D 7.1 (2,0)). Weitere Unterschiede betrafen die Interviewintervalle (UK: 6 Wochen; D: 8 Wochen) und die Aufzeichnung von unerwünschten Ereignissen (nur D).

Diskussion: Voraussetzung für die Implementierung eines neuen Behandlungsprogramms in den klinischen Alltag ist der Nachweis von Wirksamkeit und Effektivität unter Alltagsbedingungen. Um jedoch Aussagen zur Effektivität der Intervention über das untersuchte Patientenkollektiv hinaus treffen zu können, muss die Kontextabhängigkeit berücksichtigt werden. Am Beispiel von zwei RCTs zu Atemnot-Ambulanzen in England und Deutschland zeigen sich Unterschiede in der Schwere der Symptombelastung, den Grunderkrankungen der Teilnehmer, den Rekrutierungsmodalitäten und der Behandlungsintensität. Mögliche Effektmodifikationen im Zusammenhang mit der Stärke der Symptombelastung und den studienspezifischen Unterschieden sollten geprüft werden.

Praktische Implikationen: Sekundärdatenbezogene Metaanalysen vergleichen Effektstärken primär unter Berücksichtigung der Qualität der Studiendurchführung, ohne Kontextfaktoren und Unterschiede in den Patientencharakteristika gesondert zu berücksichtigen. Die Ergebnisse versorgungsnaher klinischer Studien sind immer kontextsensitive Daten, da die Durchführung einer Behandlung bzw. einer komplexen Intervention in einem Setting stattfindet, das nicht nur den Zugang zu dem Angebot, sondern auch die Charakteristika der Patienten durch unterschiedliche Vorbehandlungen bzw. Behandlungsalternativen prägt. Aus diesem Grund sollten Daten aus versorgungsnahen RCTs verstärkt für Metaanalysen mit Primärdaten zur Verfügung gestellt werden.


Literatur

1.
Higginson IJ, Bausewein C, Reilly CC, Gao W, Gysels M, Dzingina M, McCrone P, Booth S, Jolley CJ, Moxham J. An integrated palliative and respiratory care service for patients with advanced disease and refractory breathlessness: a randomised controlled trial. The Lancet Respiratory Medicine. 2014 Dec; 2(12):979-87