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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Die „Komm mit in das gesunde Boot“ Gesundheitsstudie – Eine Anwendung der Cluster-Randomisierung in der Versorgungsforschung

Meeting Abstract

  • Jens Dreyhaupt - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Ulm
  • Susanne Kobel - Universitätsklinikum Ulm, Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin, Ulm
  • Romy Lauer - Universitätsklinikum Ulm, Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin, Ulm
  • Luise Steeb - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Ulm
  • Benjamin Mayer - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Ulm
  • Rainer Muche - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Ulm

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf207

doi: 10.3205/18dkvf207, urn:nbn:de:0183-18dkvf2077

Published: October 12, 2018

© 2018 Dreyhaupt et al.
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Text

Hintergrund: In der Versorgungsforschung werden neben parallel-kontrollierten, nicht randomisierten und auf Patientenebene randomisierten Studien auch cluster-randomisierte Studien angewendet, z.B. EPCentCare, IMPRESS, PRIMUM, PracMan. Bei diesen werden anstelle einzelner Individuen bestehende Gruppen von Individuen randomisiert, die oft auf natürliche Art vorgegeben sind, wie Schulen, Seminargruppen, Arztpraxen, Rehabilitationseinrichtungen, administrativen Einheiten (z.B. Regionen, Gemeinden). Im Vergleich zu individuell randomisierten Studien sind hier neben einer komplexeren Organisation oft höhere Fallzahlen, umfangreichere Methoden der Fallzahlplanung sowie spezielle Verfahren zur statistischen Auswertung notwendig.

Fragestellung: Die Methodik cluster-randomisierter Studien, ihr Aufbau, wesentliche Voraussetzungen, Fallzahlplanung sowie Auswertungsansätze werden dargestellt. Weiterhin werden diese Aspekte in Form der praktischen Anwendung einer cluster-randomisierten Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit eines Gesundheitsförderprogrammes vorgestellt.

Methode: „Komm mit in das gesunde Boot“ (finanziert von der Baden-Württemberg Stiftung) ist ein umfassendes Programm, das die Förderung eines gesünderen Lebensstils bei Kindergartenkindern in Baden-Württemberg anstrebt. Kern des Programms ist eine niedrigschwellige Intervention, die kindergartenbasiert über Erzieher unter Einbeziehung der Eltern umgesetzt wird. Die Untersuchung der Wirksamkeit der Intervention erfolgt mit der Gesundheitsstudie („Health Survey“), einer prospektiven, stratifizierten, cluster-randomisierten, longitudinalen Studie mit Interventions- und Kontrollgruppe, registriert beim DRKS Freiburg (ID: DRKS00010089). Die Datenerhebung erfolgte im Herbst 2016 (Baseline) und 2017 (Follow-Up). Die Studie wurde mit einem explorativen Ansatz geplant, so dass eine Abschätzung eines Mindesteffektes bei gegebener Power erfolgte. Primäre Zielgrößen auf Ebene des Einzelkindes sind Änderungen (Follow-Up-Baseline) in den Bereichen ‚Ernährungsverhalten‘, ‚Bildschirmmedien‘, und ‚Körperliche Aktivität/Energieverbrauch‘. Weitere primäre Zielgrößen sind Änderungen in Wissen und Einstellungen im Bereich Gesundheit bei Eltern und Erziehern. Sekundäre Zielgrößen betreffen Änderungen in anthropometrischen Parametern, Lebensqualität der Kinder, Krankheitstage und Arztbesuche des Kindes, Fehltage der Eltern am Arbeitsplatz wegen Betreuung eines kranken Kindes, sportmotorische Fähigkeiten sowie Laborparameter. Weiterhin wurden die Kindergartenumwelt und deren Änderung erfragt.

In der Planungsphase wurde aus Machbarkeitsgründen angenommen, dass etwa 1000 bis 1400 Kinder aus 50 bis 70 Kindergärten eingeschlossen werden können. Davon ausgehend wurde eine Berechnung der Effektgröße für eine metrische Zielgröße durchgeführt (explorativer Ansatz), wobei folgende Annahmen gemacht wurden: 20 Kinder pro Kindergarten, Power: 0,80, Fehler 1. Art: 0,05 (zweiseitig), Intra-Class-Korrelationskoeffizient (ICC): 0,05 (basierend auf einer Vorgängerstudie). Die Fallzahlberechnung erfolgte mittels bekannter Formeln.

Wegen der Cluster-Struktur der Daten erfolgt die statistische Auswertung mit verallgemeinerten Schätzgleichungen (Generalized Estimating Equation, GEE).

Ergebnisse: Insgesamt 66 Kindergärten (398 Erzieher) konnten im Sommer 2016 auf beide Studienarme randomisiert werden, stratifiziert nach Einrichtungsgröße (Kinderanzahl: klein, mittel, groß). In 60 Einrichtungen (374 Erzieher, 973 Kinder, davon 497 Jungen und 476 Mädchen, mittleres Alter 4,0 ± 0,76 Jahre) konnten Baseline-Messungen durchgeführt werden (Interventionsgruppe: 32 Einrichtungen, 538 Kinder, 289 Jungen und 249 Mädchen, mittleres Alter: 4,0 ± 0,77 Jahre; Kontrollgruppe: 28 Einrichtungen, 435 Kinder, 208 Jungen und 227 Mädchen, mittleres Alter: 4,0 ± 0,75 Jahre). Follow-Up Messungen wurden in 57 Kindergärten (216 Erzieher, 558 der zu Baseline gemessenen Kinder, davon 292 Jungen und 266 Mädchen, mittleres Alter 4,6 ± 0,56 Jahre) durchgeführt (Interventionsgruppe: 30 Einrichtungen, 318 Kinder, 179 Jungen und 139 Mädchen, mittleres Alter: 4,6 ± 0,58 Jahre; Kontrollgruppe: 27 Einrichtungen, 240 Kinder, 113 Jungen und 127 Mädchen, mittleres Alter: 4,6 ± 0,54 Jahre).

Diskussion: Cluster-randomisierte Studien sollten angewendet werden, wenn eine Intervention auf natürliche Art in ganzen Gruppen erfolgt. Durch die Cluster-Struktur ergeben sich statistische Abhängigkeiten (Ergebnisse innerhalb eines Clusters sind sich ähnlicher als Ergebnisse verschiedener Cluster), was bei Fallzahlplanung und Auswertung durch adäquate statistische Methoden berücksichtigt werden muss. Der Verlust ganzer Clustern kann die Power einer solchen Studie stark verringern.

Praktische Implikationen: Wegen der höheren Komplexität und der spezielleren Methoden ist bei der praktischen Anwendung cluster-randomisierter Studien in allen ihren Phasen die Unterstützung eines kompetenten Experten mit entsprechenden Spezialkenntnissen empfehlenswert.