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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Antibiotika-Verordnung bei unkomplizierten Infekten aus Patientensicht: Befragungsergebnisse aus dem Projekt ARena

Meeting Abstract

  • Anja Klingenberg - aQua-Institut, Qualitätssicherung und Befragungsinstrumente, Göttingen
  • Tonia Brand - aQua-Institut, Qualitätssicherung und Befragungsinstrumente, Göttingen
  • Edith Andres - aQua-Institut, Patientensicherheit und Arzneimittel, Göttingen
  • Petra Kaufmann-Kolle - aQua-Institut, Patientensicherheit und Arzneimittel, Göttingen
  • Veit Wambach - Agentur deutscher Arztnetze e.V. (ADA), Nürnberg
  • Joachim Szecsenyi - aQua-Institut, Geschäftsführung, Göttingen

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf188

doi: 10.3205/18dkvf188, urn:nbn:de:0183-18dkvf1880

Published: October 12, 2018

© 2018 Klingenberg et al.
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Text

Hintergrund: Ziel von ARena (Antibiotika-Resistenzentwicklung nachhaltig abwenden, ISRCTN 58150046, gefördert mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter dem Förderkennzeichen 01NVF16008) ist es, durch eine optimierte Anwendung von Antibiotika in der ambulanten Versorgung bei unkomplizierten Infektionen (z.B. Erkältungskrankheiten, Harnwegsinfekte) für einen rationalen Umgang mit Antibiotika zu sensibilisieren und damit der Resistenzentwicklung entgegenzuwirken. Die Studie wird von Ende 2017 bis Ende 2019 als dreiarmige Cluster-randomisierte Studie in 14 Praxisnetzen mit 193 Praxen in Bayern und Nordrheinwestfalen durchgeführt. Wesentliche Interventionen sind gezielte erkrankungsspezifische Informationen und Schulungen zu Antibiotika für die teilnehmenden Ärzte und MFA (individuelles Feedback zur Verordnungssituation, Qualitätszirkel, E-Learning zu Kommunikation mit Patienten) sowie Informationen für Patienten und Allgemeinbevölkerung (Aufklärungsgespräche sowie Poster, Flyer und Tablet-PCs in den Praxen, Social Media, Öffentlichkeitskampagnen). Die Evaluation erfolgt über GKV-Routinedatenanalysen, Interviews bzw. schriftliche Befragungen von Patienten, Praxisteams und weiteren Beteiligten.

Konsortialpartner: aQua-Institut, Agentur deutscher Arztnetze, AOK Bayern, AOK Rheinland/Hamburg, KV Bayerns.

Fragestellung: Als Grund für die Verordnung von Antibiotika bei unkomplizierten Infekten wird von Ärzten, neben der medizinischen Indikation, auch die Erwartungshaltung der Patienten genannt. Im Rahmen einer schriftlichen Befragung wurden die Erwartungen und Erfahrungen von Patienten bezüglich Antibiotika-Verordnungen erfasst, um den Praxen deren Sichtweise zurück zu spiegeln.

Methode: In 51 Praxen (Teilnehmer eines Studienarms) wurde zu Beginn des Projekts eine schriftliche Patientenbefragung durchgeführt. In den Praxen sollten innerhalb von 3 Monaten mindestens 20 und maximal 60 Patienten ab 18 Jahren mit einer Indexerkrankung (z.B. Erkältungskrankheit, Harnwegsinfekt) in die Befragung einbezogen werden.

Die Patienten erhielten im Anschluss an das Arzt-Patient-Gespräch einen Fragebogen ausgehändigt. Sie füllten diesen in der Praxis aus und warfen ihn in eine versiegelte Sammelbox ein. Die Befragungsteilnahme war für die Patienten anonym und freiwillig. Die Sammelbox mit den ausgefüllten Fragebögen wurde von den Praxen nach Befragungsabschluss ungeöffnet an das auswertende Institut gesendet. Praxen mit mindestens 20 ausgefüllten Fragebögen erhielten einen praxisindividuellen Ergebnisbericht mit Vergleich zum Gesamtergebnis, alle anderen Praxen das aggregierte Gesamtergebnis. Praxisbezogene Ergebnisse wurden ausschließlich den betreffenden Praxen selbst zurückgemeldet.

Ergebnisse: Alle 51 angeschriebenen Praxen nahmen an der Patientenbefragung teil. Aus 39 Praxen (Allgemeinmedizin N=31, HNO N=6, Kinder- und Jugendmedizin N=2) wurden 20 – 60 ausgefüllte Fragebögen zurückgesendet; die insgesamt 1.569 Fragebögen aus diesen Praxen wurden in die praxisvergleichende Auswertung einbezogen. Im Durchschnitt hatten Patienten nach eigener Angabe häufiger Antibiotika erhalten (25,6%) als sie erhofft (19,0%) oder erbeten hatten (11,9%). Patienten, die ausschließlich an einem grippalen Infekt oder einer Grippe erkrankt waren (N=823), erhielten am seltensten ein Antibiotikum (10,3%), sie hatten auch am wenigsten darauf gehofft (10,1%) bzw. darum gebeten (6,9%). Unter den Patienten mit Angabe eines Harnwegsinfekts (N=128) hatten 51,6% ein Antibiotikum erhofft, 25,4% eines erbeten und 65,6% eines erhalten.

Patienten, die kein Antibiotikum erhalten hatten und mit denen der Arzt darüber gesprochen hatte (N=592), waren mit dieser Entscheidung zu 81,0% „voll und ganz“ und zu 16,6% „eher“ einverstanden, 2,4% waren „eher nicht“ oder „gar nicht“ einverstanden. Patienten, denen die Verordnungsentscheidung verständlich erläutert wurde, waren häufiger einverstanden als Patienten, bei denen dies nicht der Fall war.

Diskussion: Die Befragungsergebnisse weisen darauf hin, dass Ärzte nicht von vornherein davon ausgehen müssen, dass Patienten mit einer Infektionserkrankung ein Antibiotikum erwarten. Die Mehrheit der Patienten ist damit einverstanden, kein Antibiotikum einzunehmen, wenn dies mit ihnen besprochen und verständlich erläutert wird.

Praktische Implikationen: Die Erwartungen der Patienten bezüglich der Verordnung eines Antibiotikums sollten im Zweifelsfall gezielt erfragt und eine zurückhaltende Verordnungsweise ggf. begründet werden. Den Befragungsergebnissen zufolge wird dies von Patienten in den meisten Fällen akzeptiert. Die Vermittlung von Informationen an Patienten ist von großer Bedeutung und unterstützt den rationalen Umgang mit Antibiotika.