gms | German Medical Science

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Umgang mit Todeswünschen von Palliativpatienten: Entwickeln und Konsentieren eines teil-strukturierten Leitfadens

Meeting Abstract

  • Kerstin Kremeike - Universitätsklinikum Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln
  • Vanessa Romotzky - Universitätsklinikum Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln
  • Gerrit Frerich - Universitätsklinikum Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln
  • Maren Galushko - Universitätsklinikum Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln
  • Raymond Voltz - Universitätsklinikum Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf186

doi: 10.3205/18dkvf186, urn:nbn:de:0183-18dkvf1867

Published: October 12, 2018

© 2018 Kremeike et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Obwohl Mitarbeitende in der Palliativversorgung regelmäßig mit Todeswünschen von Patient_innen konfrontiert werden, herrscht zum Teil große Unsicherheit beim Umgang mit diesen. Um dieser Problematik zu begegnen, wurde ein Schulungskonzept zum Umgang mit Todeswünschen entwickelt. Ein im Rahmen der Schulungskonzeption entworfener teil-strukturierter Gesprächsleitfaden soll Versorgenden mehr Sicherheit im Umgang mit möglichen Todeswünschen geben. Dieser Leitfaden, mit dem routinemäßig die Themen Sterben und Tod angesprochen und eventuell vorhandene Todeswünsche proaktiv erhoben werden können, wurde nun – gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; Förderkennzeichen 01GY1706) – weiterentwickelt und konsentiert.

Fragestellung: Wie sollte ein Gesprächsleitfaden zum proaktiven An- und Besprechen von Todeswünschen bei Palliativpatient_innen gestaltet sein?

Methode: Es wurden 16 Palliativpatient_innen durch dem Forschungsteam bekannte Versorgende („Gatekeeper“) zur Teilnahme an semi-strukturierten Interviews eingeladen. Die Datenauswertung erfolgte mittels strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse. Daneben wurden 377 (inter-)nationale Expert_innen, Patientenvertreter_innen und Angehörige um Teilnahme an einem zweistufigen Delphi-Verfahren gebeten. Das Erreichen des Konsenses wurde durch vorher festgelegte Kriterien (≥ 80% Zustimmung) ermittelt.

Ergebnisse: Elf (69%) Palliativpatient_innen aus verschiedenen Settings nahmen an Einzelinterviews teil. Gründe für eine Nichtteilnahme waren die (akute) Verschlechterung des körperlichen (3/5) oder psychischen (2/5) Zustands der Patient_innen. Als zentrale Aspekte beim Umgang mit Todeswünschen nannten die Interviewten die Beziehung zwischen Versorgenden und Patient_innen, den Rahmen des Gesprächs sowie das bedarfsorientierte Hinzuziehen von externen Expert_innen.

Im Delphi-Verfahren beurteilten in der ersten Runde 210 (56%) und in der zweiten Runde 200 (53%) Expert_innen (86% aus dem deutschsprachigen Raum, 14% aus 10 weiteren Ländern) den generellen Nutzen sowie zehn Abschnitte eines Leitfaden-Entwurfs zum Umgang mit Todeswünschen:

  • Zur Gesprächsgestaltung: 1) Beziehung bewusst herstellen, 2) Proaktives Ansprechen von Todeswünschen 3) Einordnung von Todeswünschen, 4) Hintergründe und Bedeutungen von Todeswünschen, 5) Funktionen von Todeswünschen, 6) Abschließen des Gesprächs, 7) Nach dem Gespräch
  • Zur (Selbst-)Reflexion: 8) Bewusster Umgang mit eigenen Emotionen und eigener Haltung, 9) Selbstschutz und
  • 10) weitere Handlungsempfehlungen.

Außer für das „Proaktive Ansprechen von Todeswünschen“ wurde bereits in der ersten Runde für alle Abschnitte das festgelegte Konsenskriterium erreicht. Maßgebliche Änderungen auf Basis der Bewertungen und Anmerkungen in der ersten Delphi-Runde waren die Ergänzung eines Blocks mit allgemeinen Nutzungshinweisen sowie die Anpassung von Formulierungen in den vier Abschnitten mit einer Zustimmung von < 90% und einer großen Anzahl an Kommentaren (v.a. Proaktives Ansprechen, aber auch Funktionen, Einordnung und weitere Handlungsoptionen). In der 2. Befragungsrunde wurde mit 83,5% Zustimmung auch für den Abschnitt „Proaktive Ansprechen von Todeswünschen“ das Konsenskriterium erfüllt. Für die neun weiteren Abschnitte konnte eine Zustimmung von >90% erreicht werden.

Insgesamt bewerteten 92,4% der Befragten den Gesprächsleitfaden zum proaktiven Ansprechen von Todeswünschen als eher oder sehr sinnvoll (1 und 2 auf einer 5er-Likert-Skala) für den klinischen Alltag. Im Rahmen der Konsensfindung zur Ausgestaltung des Gesprächsleitfadens stellten neben dem proaktiven Ansprechen von Todeswünschen auch der ärztlich assistierte Suizid und die direkte Sterbehilfe zentrale Diskussionspunkte dar.

Diskussion: Der entwickelte und konsentierte Gesprächsleitfaden kann dabei unterstützen, Todeswünsche bei Palliativpatient_innen zu identifizieren, diese anzusprechen und ihnen auf angemessene Weise therapeutisch zu begegnen. Dieser Ansatz ist evidenz-basiert und beruht auf den Sichtweisen von Expert_innen, Versorgenden und Patient_innen.

Praktische Implikationen: Mit dem Erstellen und Konsentieren des ersten Teil-strukturierten Gesprächsleitfadens zur proaktiven Thematisierung eventuell vorhandener Todeswünsche kann zur multiprofessionellen Kompetenz-Verbesserung auf diesem Gebiet beigetragen werden. Die Aussagen und Anmerkungen im Rahmen der Patient_innen-, Expert_innen und Angehörigen-Befragung spiegeln zentrale Inhalte der Diskussion um den Umgang mit Patient_innen am Lebensende wider.

In einem nächsten Schritt werden Professionelle in der Anwendung des Gesprächsleitfadens geschult. Im Anschluss an die Schulungen sollen Gespräche unter Einsatz des entwickelten Leitfadens mit Patient_innen, Angehörigen und Versorgenden evaluiert werden