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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Einbezug von Pharma-Assistentinnen im systematischen Medikationsabgleich: Implikationen aus Sicht der beteiligten Berufsgruppen

Meeting Abstract

  • Andrea Niederhauser - Patientensicherheit Schweiz, Zürich, Switzerland
  • Chantal Zimmermann - Stiftung für Patientensicherheit Schweiz, Zürich, Switzerland
  • Liat Fishman - Stiftung für Patientensicherheit Schweiz, Zürich, Switzerland
  • David Schwappach - Stiftung für Patientensicherheit Schweiz, Zürich, Switzerland

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf156

doi: 10.3205/18dkvf156, urn:nbn:de:0183-18dkvf1569

Published: October 12, 2018

© 2018 Niederhauser et al.
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Text

Hintergrund: Der systematische Medikationsabgleich ist eine wirkungsvolle Massnahme, um Medikationsfehler an Behandlungsschnittstellen zu vermeiden. Der systematische Medikationsabgleich besteht aus der Erstellung einer aktuellen und umfassenden Liste aller Medikamente und Präparate, die ein Patient verwendet (bestmögliche Medikationsanamnese) sowie dem konsequenten Gebrauch dieser Liste immer dann, wenn Medikamente verordnet werden. Pharma-Assistenten/-innen (PA) können gewisse Aufgaben im systematischen Medikationsabgleich übernehmen. Studien zeigen beispielsweise, dass PAs eine Medikationsanamnese mit vergleichbarer Vollständigkeit und Genauigkeit erheben können wie andere Berufsgruppen. Weniger ist hingegen darüber bekannt, wie PAs die Ausweitung ihrer Aufgabenbereiche auf klinische Prozesse wahrnehmen und wie sich diese neue Rolle auf andere beteiligte Berufsgruppen auswirkt.

Fragestellung: Wie nehmen Pharma-Assistenten/-innen ihre eigene Rolle bei der Erhebung einer bestmöglichen Medikationsanamnese wahr und wie wirkt sich ihre Beteiligung im systematischen Medikationsabgleich auf die interprofessionelle Zusammenarbeit aus?

Methode: Diese qualitative Substudie wurde im Rahmen eines nationalen Programms zur Verbesserung der Medikationssicherheit an Schnittstellen durchgeführt. Das Programm hatte zum Ziel, die Umsetzung des systematischen Medikationsabgleichs in Schweizer Akutspitälern zu fördern. Es nahmen acht Pilotspitäler am Projekt teil, die sich dazu verpflichteten, Prozesse für die Erhebung einer bestmöglichen Medikationsanamnese zu definieren und auf einer ausgewählten Organisationseinheit einzuführen. Die Gestaltung der lokalen Prozesse war den Spitälern freigestellt. Zwei der acht Pilotspitäler entschieden sich, PAs bei der Erhebung einer bestmöglichen Medikationsanamnese einzubeziehen. Die Erfahrungen mit diesem Modell stehen im Fokus der vorliegenden Substudie. Es wurden 21 halb-strukturierte, persönliche Interviews mit sechs Pharma-Assistenten/-innen, zwei Pharmazeuten/-innen, sechs Pflegefachpersonen, fünf Assistenzärzten/-innen und zwei Oberärzten/-innen durchgeführt. Die Interviews wurden inhaltsanalytisch auswertet.

Ergebnisse: In beiden Spitälern führten die PAs Patientengespräche zur Erfassung der aktuellen Medikation, sammelten weitere Informationsquellen und dokumentierten die prästationäre Medikation. Die befragten PAs empfanden diese neuen Aufgaben als interessant und abwechslungsreich. Der direkte Patientenkontakt sowie die Vereinbarkeit der neuen Aufgaben mit dem laufenden Tagesgeschäft wurden jedoch häufig als herausfordernd beschrieben. Die Apotheker/-innen erhielten durch die Intervention ebenfalls neue Aufgaben. Sie coachten die PAs, kontrollierten die erhobenen Informationen, leiteten diese an die Ärzteschaft weiter und glichen die prästationäre Medikamentenliste mit der Eintrittsverordnung ab. Dadurch intensivierte sich ihre Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft, was von beiden Seiten als bereichernd empfunden wurde, gleichzeitig aber bei den Apothekern/-innen zu einer erhöhten Arbeitsbelastung führte. Die Ärzte/-innen im einen Spital gaben an, durch die Arbeit der PAs administrativ entlastet worden zu sein; im anderen Spital nahmen die Ärzte/-innen die Arbeit der PAs weniger wahr. In beiden Spitälern wurde zwischen den PAs und der Ärzteschaft keine direkte Zusammenarbeit etabliert. Vielmehr agierten die betreuenden Apotheker/-innen als Mittler zwischen den beiden Berufsgruppen. In ihrer eigenen Wahrnehmung, wie auch in der Wahrnehmung der weiteren Berufsgruppen wurden die PAs nicht zu einem Teil des Behandlungsteams.

Diskussion: Die Studie zeigt, dass bei PAs Interesse daran besteht, neue klinische Aufgaben zu übernehmen. Assistenzärzte/-innen können durch die Delegation von administrativen Aufgaben an die PAs entlastet werden. Es besteht jedoch die Gefahr von Doppelspurigkeiten, wenn Arbeitsschritte nicht vollständig an eine Berufsgruppe delegiert werden oder nicht optimal in bestehende Abläufe integriert sind. In beiden Spitälern waren die Apotheker/-innen bei der Umsetzung stark einbezogen, was die Effizienz des neuen Prozesses in Frage stellt. Zudem führt ein solches Modell zu einer verstärkten Fragmentierung des gesamten Prozesses, was zu neuen Schnittstellen führt und damit zu einem erhöhten Risiko von Fehlern und Informationsverlusten.

Praktische Implikationen: Für den Einsatz von PAs im systematischen Medikationsabgleich ist ein gutes Training sowie ausreichend zeitliche und personelle pharmazeutische Ressourcen für die Ausführung der neuen Tätigkeiten wesentlich. Der Einsatz von PAs unter Beaufsichtigung von Apothekern bedeutet, dass Arbeitsschritte auf mehrere Berufsgruppen verteilt werden. Eine klare Aufgabenteilung, sowie die gute Organisation des Informationsflusses sind zentral, um neue Risiken und Ineffizienzen, die durch diese Fragmentierung entstehen können, vorzubeugen.