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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Stratifizierte Querschnittstudie zur Quantifizierung einer möglichen zahnärztlichen Unterversorgung sozial schlechter gestellter Menschen

Meeting Abstract

  • Frank Krummenauer - Universität Witten/Herdecke, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Witten
  • Sandra Zakenhofer - Universität Witten/Herdecke, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Witten
  • Berit Geis - Universität Witten/Herdecke, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Witten
  • Sabrina Tulka - Universität Witten/Herdecke, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Witten
  • Christine Baulig - Universität Witten/Herdecke, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Witten

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf148

doi: 10.3205/18dkvf148, urn:nbn:de:0183-18dkvf1482

Published: October 12, 2018

© 2018 Krummenauer et al.
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Text

Hintergrund: Es wird vermutet, dass in sozial schlechter gestellten Schichten zahnärztliche Vorsorge hinausgezögert wird. Eine Konsequenz könnte eine wachsende Unterversorgung sowohl mit präventiven als auch kurativen Maßnahmen sein, welche innert der alternden Bevölkerung in Deutschland gesundheitsökonomisches Eskalations-Potentiale birgt.

Fragestellung: Diese vergleichende Querschnittstudie sollte eine mögliche Unterversorgung in der zahnmedizinischen Versorgung bei Besuchern des „Tafel“-Projektes in NRW im Vergleich zu Angehörigen einer Universität als Kohorten-Modelle für im gesundheitlichen Versorgungsnetz unterschiedlich gut eingebundene Schichten quantifizieren.

Methode: Die Rekrutierung beider Kohorten erfolgte im Zeitraum 09/2015 – 05/2017. Die stratifizierte Querschnitt-Rekrutierung sollte eine hinreichend hohe Prävalenz beider sozialer Schichten sicher stellen. Besucher(inne)n des „Tafel“-Projektes sowie wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter(inne)n der Universität (keine Studierenden, keine Mitarbeiter(innen) der Zahnmedizin) wurden jeweils kostenlose, freiwillige, anonymisierte zahnärztliche Untersuchungen angeboten.

Primärer Endpunkt der Untersuchung war das Auftreten eines DMFT ≥ 15 Punkte zwischen beiden Kohorten; der Count-Score DMFT zählt hierbei pro Studienteilnehmer(in) die Anzahl kariöser („D“), fehlender („M“) und mit Füllungen („F“) versehener Zähne. Speziell die Teil-Counts der noch unversorgten kariösen Zähne („D“) sowie der schon versorgten Zähne („F“) wurden bei Planung der Studie als ökonomisch sensitive Indikatoren der Versorgungslage angesehen, da die Versorgungen oft relevante ökonomische Selbstbehalte für die Betroffenen bedingen („D“) respektive bereits erfordert hatten („F“). Sekundär wurde ein „akuter Behandlungsbedarf“ attestiert bei in der Untersuchung erkannten kariösen Läsionen respektive bei Vorliegen eines parodontalen Screening-Index (PSI) von ≥ 2 Punkten.

Der primäre Kohorten-Vergleich erfolgte mittels des 99%-Konfidenzintervalls zur Differenz der Auftrittshäufigkeiten eines DMFT ≥ 15 Punkte. Entlang einer multiplen logistischen Regression unter Adjustierung u.a. an das Alter wurde der univariat erhaltene Kontrast überprüft mittels Wald-Tests zum nominellen Niveau 1 %.

Ergebnisse: Es konnten Daten von 232 Freiwilligen eingebracht werden („Tafel“ 102, „Universität“ 130). Bei 88 % der „Tafel“-Besucher sowie bei 94 % der Universitäts-Angehörigen wurden keine kariösen Zähne („D“) dokumentiert; ferner fehlten den „Tafel“-Besuchern im Median 2 Zähne („M“), den Universitäts-Angehörigen im Median 0 Zähne. Gleichzeitig zeigten die „Tafel“-Besucher im Median 6 Zähne mit Füllungen („F“) gegenüber im Median 4 Zähnen mit Füllungen bei den Universitäts-Angehörigen.

Ein DMFT ≥ 15 Punkte zeigte sich in der Tafel-Kohorte bei 34 %, in der Universitäts-Kohorte bei 6 %; dieser Unterschied der Auftrittshäufigkeiten von 28 % (Tafel vs. Universität, 99 % KI [15 %, 41 %]) war statistisch signifikant zum Niveau 1 %. Nach Alters-Adjustierung (Wald p < 0.001) verblieb eine signifikante Assoziation zwischen Kohorten-Zugehörigkeit und Auftreten eines DMFT ≥ 15 Punkten (Wald p < 0.001).

Für 43 % der „Tafel“-Kohorte und 12 % der Universitäts-Kohorte wurde ferner ein akuter Behandlungsbedarf attestiert.

Diskussion: Es zeigte sich eine statistisch signifikante Assoziation zwischen dem hier modellierten soziodemographischem und dem gemessenen zahnärztlichem Versorgungs-Status. Konkret zeigte sich eine tendenzielle Unterversorgung sozial schlechter gestellter Menschen im sekundären und in zwei der drei Konstituenten des primären Endpunktes (Anzahlen fehlender respektive kariöser Zähne), nicht aber im ökonomisch wohl sensitivsten Konstituenten der Anzahl mit Füllungen versehener Zähne.

Im vorliegenden Fall wurde der statistisch signifikante Gradient zwischen den Kohorten in der Summe durch die Teil-Counts fehlender („M“) und kariöser („D“) Zähne erzeugt, mithin zusammen mit der im sekundären Endpunkt erkannten Tendenz ein konsistentes Indiz für einen schlechteren Versorgungs-Status der „Tafel“-Kohorte. Gleichzeitig bleibt zur Interpretation offen, dass in der „Tafel“-Kohorte eine höhere mediane Anzahl von mit Füllungen versehenen Zähnen vorgefunden wurde, per se ein Zeichen intensiverer Wahrnehmung zahnärztlicher Versorgung und ggf. finanzieller Selbstbeteiligung. Eine mögliche Erklärung könnte in der im Querschnitt-Design nicht abbildbaren zeitlichen Entwicklung des Zahnstatus beruhen: Konkret könnte der durch den „Tafel“-Besuch modellierte nicht den faktischen Sozialstatus zur Zeit der Zahnversorgungen widerspiegeln.

Praktische Implikationen: Die Größenordnung dieser Unterversorgung legt zeitnahe Diskussionen zur Etablierung niederschwelliger zahnmedizinischer Untersuchungs- und vor allem Schichten-spezifisch ausformulierter Beratungsangebote nahe.