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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Informelle Unterstützung von Menschen mit hochgradiger Sehbehinderung oder Blindheit – eine repräsentative Erhebung aus der Perspektive der Betroffenen

Meeting Abstract

  • Juliane Köberlein-Neu - Bergische Universität Wuppertal, Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsökonomik und Versorgungsforschung, Wuppertal
  • Yuliya Chuvarayan - Bergische Universität Wuppertal, Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsökonomik und Versorgungsforschung, Wuppertal
  • Sabrina Kastaun - Universitätsklinikum Düsseldorf, UKD, Institut für Allgemeinmedizin (ifam), Düsseldorf
  • Robert P. Finger - Universität Bonn, Universitäts-Augenklinik, Bonn

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf147

doi: 10.3205/18dkvf147, urn:nbn:de:0183-18dkvf1472

Published: October 12, 2018

© 2018 Köberlein-Neu et al.
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Text

Hintergrund: Dem Sehvermögen kommt in der Interaktion mit der Umwelt eine wesentliche Bedeutung zu. Eine Beeinträchtigung kann die Alltagsgestaltung, die Teilhabe und die Lebensqualität von betroffenen Personen negativ beeinflussen. Daher ist die Unterstützung durch Familienangehörige und Freunde für sehbehinderte und blinde Menschen aller Altersgruppen eine wichtige Ressource in der Alltagsbewältigung. Auch Beratungsangebote aus dem Sehbehindertenwesen nehmen die persönlichen Ressourcen der Betroffenen als Bezugspunkt und unterstützen beim Aufbau eines Hilfenetzes. Die hier vorgehaltenen Services und Informationsmaterialien können jedoch nur dann zielführend eingesetzt werden, wenn diese am Bedarf der Betroffenen ausgerichtet sind. Derzeit fehlen aktuelle und repräsentative Daten, welche die informelle Unterstützung sehbehinderter und blinder Menschen beschreiben.

Die im Folgenden vorgestellte Befragung zielte auf die Erhebung des bestehenden Hilfenetzes von blinden und sehbehinderten Menschen ab.

Fragestellung: Auf welches Hilfenetz können hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen in Deutschland im Bedarfsfall zurückgreifen? Mit welchen Merkmalen ist die Verfügbarkeit informeller Unterstützungsressourcen assoziiert?

Methode: Die Datenerhebung fand im Rahmen der seit 2016 fortlaufenden DEBRA Studie statt (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten: http://www.debra-study.info/; Deutsches Register Klinischer Studien: DRKS00011322). Im Querschnittdesign wird zweimonatlich eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung (pro Befragungswelle ~2.000 Personen, >14 Jahre) persönlich-mündlich zum Tabak- und E-Zigarettenkonsum befragt. In zwei Wellen der Studie wurde zusätzlich das selbst eingeschätzte Sehvermögen und das Vorliegen einer Sehbehinderung oder Blindheit der Teilnehmer erhoben. Darüber hinaus wurde dokumentiert, auf welches Hilfenetz Betroffene im Bedarfsfall zurückgreifen können. Für die hier vorgestellte explorative Analyse wurden die zwei Befragungswellen aggregiert (Oktober 2017 – Januar 2018; 4.100 Befragte; Mittelwert [MW] Alter: 52,9 Jahre, Standardabweichung [SD] + 19,8 Jahre; 50,7% Frauen). Der Anteil der Befragten mit einer selbstberichteten Sehbehinderung oder Blindheit sowie die Verfügbarkeit einer Unterstützungsperson wurden mit für die Bevölkerung Deutschlands gewichteten Daten ermittelt. In logistischen Regressionen wurden Assoziationen zwischen der Verfügbarkeit informeller Unterstützung bei Sehbehinderung und soziodemographischen Variablen (Alter, Geschlecht, Schulabschluss, Familienstand, Haushaltseinkommen) mit ungewichteten Daten geschätzt.

Ergebnisse: Von einer hochgradigen Sehbehinderung oder Blindheit berichteten 1% der Befragten. Der Grad der selbstberichteten Prävalenz stieg mit dem Alter an. Frauen gaben häufiger eine hochgradige Sehbehinderung oder Blindheit an als Männer. 26,3% der sehbehinderten oder blinden Teilnehmer verfügten über Personen, welche im Bedarfsfall Unterstützung im Alltag leisten können. Hierbei handelte es sich in 88,2% der Fälle um den Partner und in 26,6% der Befragten um Bekannte. 8,5% der Befragten berichteten zudem über Unterstützung durch weitere Familienmitglieder (Bruder/Schwester; Sohn/Tochter). Mit der Verfügbarkeit informeller Unterstützung war ein höheres Alter (OR=1,04; 95%KI 1.01-1.09) signifikant assoziiert. Nicht assoziiert waren das Geschlecht, der Schulabschluss, Familienstand und das Haushaltseinkommen.

Diskussion: Obwohl informelle Unterstützungsleistungen in der Versorgung von sehbehinderten und blinden Menschen eine notwendige Ressource darstellen [1] und ein signifikanter Prädiktor für die Selbstausgaben der Betroffenen sind [2], gaben weniger als 1/3 der blinden oder hochgradig sehbehinderten Befragten einen Zugang zu informeller Unterstützung an. Einen signifikanten Einfluss auf die Verfügbarkeit einer unterstützenden Person zeigte das Alter, welches positiv assoziiert war. Dieses Ergebnis lässt sich auf die im höheren Alter meist aus anderen Gründen bereits vorhandenen Hilfenetze zurückführen.

Praktische Implikationen: Es besteht ein Bedarf an Strategien zur Verbesserung des Zugangs zu informeller Unterstützung sehbehinderter und blinder Menschen. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass mit Blick auf den Netzwerkaufbau besonders frühsehbehinderte Menschen eine wichtige Zielgruppe für die Beratungsangebote des Sehbehindertenwesens sind, da hier aufgrund des Gesundheitszustandes der Betroffenen in der Regel noch keine etablierten Unterstützungsstrukturen bestehen, welche nutzbare Synergien schaffen könnten.

Die Ergebnisse der repräsentativen Befragung können dazu genutzt werden, um ergänzende Versorgungsangebote weiterzuentwickeln.


Literatur

1.
Köberlein J, Beifus K, Schaffert C, Finger RP. The economic burden of visual impairment and blindness: a systematic review. BMJ Open. 2013 Nov;3(11):e003471. DOI: 10.1136/bmjopen-2013-003471 External link
2.
Steinbach F, Finger RP, Köberlein-Neu J. Socio-economic implication of blindness and visual impairment in Germany. Wuppertal & Bonn; 2018.