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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Psychische Belastungen durch das Mammographie-Screening?

Meeting Abstract

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  • Stefan Hornbostel - Humboldt-Universität zu Berlin, ISW, Berlin
  • Regine Rathmann - Mammographie-Screening Hannover, PVÄ, Hannover

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf142

doi: 10.3205/18dkvf142, urn:nbn:de:0183-18dkvf1425

Published: October 12, 2018

© 2018 Hornbostel et al.
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Hintergrund: Brustkrebs ist mit zuletzt rund 70.000 Neuerkrankungen jährlich die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau, die auch medial anhaltend stark kommuniziert wird. Diese Lage war und ist Motiv für die Einführung des qualitätsgesicherten, bundesweiten bevölkerungsbezogenen Mammographie-Screening in den Jahren 2005 bis 2009 für Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren in Deutschland. Seitdem gibt es eine anhaltende (internationale) Debatte um Nutzen und Schaden des Screenings. Dabei wird unter „Nutzen“ fast ausschließlich eine Senkung der Mortalitätsrate verstanden, deren Nachweis methodisch kompliziert ist. Für Deutschland hat eine Mortalitätsevaluation des Mammographie-Screening-Programms in diesem Jahr begonnen; mit konkreten Aussagen ist allerdings nicht vor 2022 zu rechnen.

Weitgehend unstrittig ist in der internationalen Literatur, dass dem Screening ein positiver Effekt sowohl hinsichtlich einer Mortalitätssenkung, wie auch hinsichtlich der Reduktion stark belastender Therapien durch frühzeitige Diagnose (noch) kleiner Tumore attestiert werden kann. Erkennbar ist in Deutschland, dass in der relevanten Altersgruppe weniger Frauen an fortgeschrittenen Tumoren erkranken, als vor Einführung des Screenings. Strittig ist aber in welchem Umfang (und auch für welche Risikogruppen) Vorteile nachweisbar sind. Daher kommt der Abwägung von Schaden und Nutzen des Screenings und daraus abgeleiteter Teilnehmerinneninformation eine sehr große Bedeutung zu.

Unter den „Risiken“ des Screening werden im Wesentlichen zwei Faktoren diskutiert: 1. Sogenannte „Überdiagnosen“, die Tumore identifizieren, die vermutlich zu Lebzeiten nicht zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung geführt hätten (eine Methodik zur Identifizierung von Überdiagnosen existiert allerdings nicht). 2. Psychische Belastungen, die durch Einladung, Untersuchung und ggf. Wiedereinbestellung mit Abklärungsuntersuchungen entstehen können, durch Angst vor schmerzhaften Untersuchung, Sorgen um ein auffälliges Ergebnis, Angst vor falsch-positiven Befunden und durch starke Belastungen in der Zeit des Wartens auf die Ergebnisse der Untersuchung. Diese Verunsicherungen könnten mit psychischen und körperlichen Beschwerden einhergehen.

Fragestellung: Da bisher kaum empirische Befunde zum Ausmaß psychischer Belastungen vorliegen, soll geprüft werden, ob und welchem Ausmaß derartige Belastungen auftreten, bzw. inwieweit im Gegenteil positive Effekte (Beruhigung, Sicherheit) eintreten; inwieweit das Warten auf Ergebnisse als belastend erlebt wird, ob die Untersuchung selbst als schmerzhaft erfahren wird, ob die Aussicht auf eine potentielle Abklärungsuntersuchung verunsichernd wirkt, wie eine tatsächlich erfolgte Abklärung erlebt wird und, ob positive Einschätzungen des Screenings auf mangelndes Wissen über potentielle Risiken zurückzuführen ist. Weiterhin sollen die individuellen Nutzen/Risiko Einschätzungen von Teilnehmerinnen am Screening erfasst werden.

Methode: Von Februar 2017 bis Januar 2018 wurde in der Screening-Einheit Hannover-Schaumburg eine Befragung unter den am Mammographie-Screening teilnehmenden Frauen durchgeführt. In der Einheit sind in zwei Jahren ca. 170.000 Frauen berechtigt am Screening teilzunehmen und werden zu einer Untersuchung eingeladen; ca.57% der Eingeladenen folgen dieser Einladung. Von diesen Teilnehmerinnen nahmen mehr als 3000 Frauen an der Befragung teil. Befragt wurden Frauen, die erstmalig und Frauen, die bereits mehrfach am Screening teilnahmen. Zusätzlich wurden Frauen, die zu einer Abklärungsuntersuchung einbestellt wurden, befragt.

Ergebnisse: Die Datenauswertung ist noch nicht abgeschlossen, aber die ersten Befunde zeigen, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen die Untersuchung als harmlos und nur selten als schmerzhaft erlebt. Erstteilnehmerinnen, wie Mehrfachteilnehmerinnen berichten übereinstimmend, dass sie den Ergebnissen gelassen entgegensehen und selbst eine Abklärungsuntersuchung mit unauffälligem Ergebnis positiv sehen. Entsprechend gibt nur eine extrem kleine Zahl von Teilnehmerin an, dass das Screening unnötige Sorgen evoziert hätte, der ganz überwiegende Teil berichtet von Beruhigung und Sicherheit. Zwar zeigt ein Viertel der Befragten Wissensdefizite (überzogene Erwartungen die Diagnostik), aber daraus lässt sich die insgesamt positive Einschätzung nicht erklären.

Diskussion: Die Ergebnisse weisen nicht nur daraufhin, dass die psychologischen Risiken überschätzt werden, sondern sogar darauf, dass ein psychischer Entlastungseffekt mit dem Screening verbunden ist. Eine jüngere amerikanische Studie zeigt in eine ähnliche Richtung.

Praktische Implikationen: Für die Ausgestaltung der Informationsmaterialien, die der Zielgruppe mit der Einladung zugesandt werden, ebenso wie für eine Verbesserung der Risikokommunikation mit den Teilnehmerinnen, ergeben sich aus den Befunden neue Gesichtspunkte.