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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Darmkrebsfrüherkennung: Inzidenz unerwünschter Ereignisse im Zusammenhang mit der Durchführung von diagnostischen Koloskopie-Untersuchungen

Meeting Abstract

  • Dirk Horenkamp-Sonntag - WINEG, Hamburg
  • Judith Liebentraut - WINEG, Hamburg
  • Susanne Engel - WINEG, Hamburg
  • Herbert Koop - Helios Klinikum Berlin-Buch, Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Gastroenterologie, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf141

doi: 10.3205/18dkvf141, urn:nbn:de:0183-18dkvf1417

Published: October 12, 2018

© 2018 Horenkamp-Sonntag et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland erkranken pro Jahr rund 64.000 Menschen erstmalig an Darmkrebs, ca. 26.000 sterben pro Jahr daran. 210.000 Patienten leben mit einer bis zu fünf Jahre zurückliegenden Darmkrebsdiagnose. Durch Vorsorgeuntersuchungen wie die Koloskopie können gutartige Vorstufen erkannt und direkt entfernt werden. Insofern kann die Darmkrebsentstehung durch rechtszeitige Vorsorgeuntersuchungen drastisch vermindert werden. Seit 2002 ist die Früherkennungskoloskopie neben dem Okkultblut-Test Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs. Ca. 20 Millionen Versicherte haben Anspruch auf diese Vorsorgeuntersuchung. Durch verschiedenste politische Aktivitäten wurde in der Vergangenheit versucht, die Teilnahme an der Krebsfrüherkennung zu erhöhen. Mit dem am 09.04.2013 in Kraft getretenen Krebsfrüherkennungs- und registergesetz (KFRG) wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass Versicherte künftig zur Früherkennung eingeladen werden. Analog zu den Forderungen des Nationalen Krebsplans ist das Ziel dieser Maßnahmen, die informierte Entscheidung der Anspruchsberechtigten zu fördern und zu unterstützen.

Fragestellung: Es soll der Einsatz der Koloskopie als diagnostische Maßnahme bzgl. Anwendungsindikation, Patientencharakteristika und Komplikationen (u.a. Koloskopie-induzierte Perforation) in der Versorgungswirklichkeit evaluiert werden.

Methode: Es wurde zunächst untersucht, wie viele Patienten wann wie viele Koloskopien (einmalig vs. mehrmalig) in welchem Behandlungssetting (ambulant vs. stationär) erhalten haben. Anschließend wurde analysiert, ob und inwiefern entweder in direktem Zusammenhang mit der Leistungserbringung oder im post-interventionellen Verlauf spezifische Koloskopie-Komplikationen aufgetreten sind. Grundlage sind GKV-Routinedaten von TK-Versicherten (n > 10 Millionen) im Zeitraum 12.2012 bis 03.2018.

Ergebnisse: Bei insgesamt 1.431.020 Versicherten wurde eine Koloskopie durchgeführt. Die meisten Koloskopien erfolgten in der Altersgruppe 50-59 Jahre (27,6%), die wenigsten in der Altersgruppe 0-19 (0,89%). Dabei erfolgten die meisten Koloskopien bei niedergelassenen Gastroenterologen (n = 1.257.694) und während eines stationären Krankenhausaufenthalts (n = 277.074), während sich der übrige Teil auf sektorale Übergangsformen zwischen ambulant und stationär verteilt. Bei 23.899 Versicherten lagen Hinweise auf eine Verletzung bzw. Perforation im Dickdarm-Bereich vor. Bei 258.265 Versicherten wurde zeitgleich eine Polypektomie durchgeführt. Im Zusammenhang mit der Durchführung der Koloskopie war bei 118.932 Versicherten eine gastro-intestinale Blutung dokumentiert. Im post-interventionellen Verlauf (365 Tage) waren bei 10.935 Versicherten Komplikationen (u.a. ICD-Codes T81.1, T81.4, T81.7, T88.8 und T88.9) und bei 50.235 Versicherten gastro-intestinale Blutungen, bei 8.584 Versicherten eine Perforation dokumentiert. Eine erneute (Kontroll-) Koloskopie erfolgte bei 393.224 Versicherten, 191.438 Versicherte wurden stationär in einer gastroenterologischen Abteilung behandelt.

Diskussion: Eine endoskopische Untersuchung ist mit einer Prävalenz von 14,3% in GKV-Routinedaten eine sehr häufig eingesetztes diagnostisches Verfahren, das vor allem im ambulanten Setting und bei der Altersgruppe > 50 Jahre zum Einsatz kommt. Unsere Ergebnisse zeigen wesentlich mehr unerwünschte Ereignisse als erwartet, da wir nicht allein auf die Krebsfrüherkennung fokussiert haben, sondern auch Fälle mit Verdachtsdiagnose, z.B. positiver Hämoccult in Form sog. (abrechnungstechnisch) kurativer Koloskopien einbezogen haben. Die Risiken werden bei der Vorsorgekoloskopie als gering eingeschätzt (Zwink et al. 2017): während und nach der Koloskopie traten nur sehr selten Komplikationen auf (0,38 Prozent aller Fälle), Zwischenfälle ausschließlich im Zusammenhang mit einer Polypektomie. Laut S3-Leitlinie ist aber immer von einer Untererfassung der Komplikationen bei Begleitevaluationen auszugehen, da Spätkomplikationen nur inkomplett erfasst werden. Diese Evidenz-Lücke kann man mit GKV-Routinedaten grundsätzlich schließen, da alle Ereignisse im Zeitverlauf erfasst werden, die eine medizinische Leistungsinanspruchnahme nach sich ziehen. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass aufgrund unzureichender Detaillierungen von ICD-Diagnosen oft die Trennung zwischen Ursache und Wirkung im Leistungsverlauf nicht immer eindeutig möglich ist. Die exakte zeitliche Abfolge der erforderlichen klinischen Informationen findet sich in den Abrechnungsdaten des klinischen Behandlungsfalls zum Teil nur eingeschränkt wieder.

Praktische Implikationen: GKV-Routinedaten sind geeignet, Komplikationen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Koloskopie zu berücksichtigen, die im Rahmen von Begleitstudien zur Krebsfrüherkennung ggf. nicht erfasst werden. Vor der vertieften Interpretation dieser Ergebnisse sind aber noch weitere methodische Differenzierungen i.S. von Homogenisierung der Anwendungsindikation und Spezifizierung der Operationalisierung zu leisten.