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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Stationäre Vorsorge für Pflegende mit ihren dementiell erkrankten Angehörigen – Ressourcenförderung zur Erhaltung der häuslichen Pflegefähigkeit

Meeting Abstract

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  • Friederike Otto - Medizinische Hochschule Hannover, Medizinische Soziologie OE 5420, Hannover
  • Sabine de Wall - Medizinische Hochschule Hannover, Medizinische Soziologie OE 5420, Hannover

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf123

doi: 10.3205/18dkvf123, urn:nbn:de:0183-18dkvf1234

Published: October 12, 2018

© 2018 Otto et al.
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Hintergrund: In Deutschland leben derzeit etwa 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Etwa 70% der Erkrankten werden zu Hause von ihren Angehörigen versorgt. Diese sind häufig aufgrund ihres hohen Lebensalters und die damit verbundene eigene Multimorbidität physisch, psychisch, emotional und sozial beeinträchtigt. Für diese Personengruppe ist es besonders wichtig, alle Angebote zu nutzen, die dazu beitragen, die Pflegefähigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Neben der quartiersnahen Unterstützung können im Rahmen des Pflegeneuausrichtungsgesetzes stationäre Vorsorgemaßnahmen zur Stabilisierung der körperlichen und seelischen Gesundheit der Pflegenden genutzt werden. Um einem Beziehungsabbruch durch eine längere Trennung vorzubeugen, hat eine stationäre Vorsorgeklinik ein Angebot entwickelt, das Pflegenden die Möglichkeit bietet, gemeinsam mit ihrem demenzerkrankten Angehörigen an einer solchen Maßnahme teilzunehmen. Diese Vorsorgemaßnahmen wurden über einen Zeitraum von 15 Monaten evaluiert.

Fragestellung: In der Studie wird untersucht, welche gesundheitlichen und psychosozialen Belastungen Pflegende von demenzkranken Angehörigen zu Beginn der stationären Vorsorgemaßnahme aufweisen, welche Unterstützungsangebote am Heimatort in Anspruch genommen werden, welche Erwartungen die Pflegenden an den Aufenthalt haben, welche kurz- und mittelfristigen Effekte sich bei Pflegenden zeigen und ob Ressourcen zur Erhaltung der Pflegefähigkeit gefördert werden können.

Methode: Die Studie beinhaltet die schriftliche Befragung aller Pflegenden, die im Jahr 2017 mit ihren demenzerkrankten Angehörigen eine stationäre Vorsorgemaßnahme von 1-3 Wochen Dauer in der Klinik wahrnahmen. Die erste Befragung (T1) erfolgte zu Beginn der Kur, bei drei Wochen Aufenthaltsdauer erfolgte eine Befragung am Ende der Maßnahme (T2). Zwei Monate nach Ende der Vorsorgemaßnahme wurde an alle Probanden postalisch ein T3-Bogen versandt. Angaben zur aktuellen Lebenssituation wurden über Itemlisten und Einzelfragen ermittelt. Allgemeine und psychische Gesundheitsbeschwerden wurden über standardisierte Testinstrumente erfasst (Beschwerdenliste B-L, Depression-im-Alter-Skala DIA-S). Die Auswertung erfolgt mittels deskriptiver statistischer Verfahren, Chi-Quadrat-Tests, Varianzanalysen, T-Tests und Wilcoxon-Tests.

Ergebnisse: An der Studie nahmen zu T1 N=131 Pflegende teil. 20 Personen konnten zu T2 befragt werden, an der Nachbefragung beteiligten sich N=112. 76,3% der Pflegenden waren weiblich, in der Mehrzahl pflegende Ehefrauen. Das Durchschnittsalter betrug 74,5 Jahre (SD=7,3). 42,9% der Pflegenden betreuten ihren Angehörigen 5 Jahre oder länger. 61,8% der Demenzkranken hatten den Pflegegrad 4 bzw. 5. 26,9% nahmen Unterstützung durch Pflegedienste in Anspruch. Die Pflegenden fühlten sich in vielen Bereichen stark belastet, etwa durch das ständige Dasein für den Dementen, die veränderte Beziehung oder die unterbrochene Nachtruhe. 2/3 zeigten Anzeichen einer Depression. Eine signifikant höhere Eingangsbelastung zeigte sich bei den Teilnehmern der T2-Gruppe. 96,1% wünschten sich in der stationären Maßnahme Regeneration und Entspannung, 85,3% wollten Therapiemöglichkeiten nutzen und die eigene Gesundheit fördern. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen hatte einen hohen Stellenwert.

Die allgemeinen Beschwerden der Pflegenden verbesserten sich insgesamt leicht, während das Ausmaß der Depressivität nahezu unverändert blieb. Der stationäre Aufenthalt gab den Pflegenden den Impuls, im Alltag besser auf die eigene Gesundheit zu achten. Ambulante Unterstützungsangebote wurden häufiger in Anspruch genommen.

Diskussion: Wir sehen in unserer Studie hochbelastete Pflegende, die durch die stationäre zielgruppenspezifische Maßnahme eine passagere Entlastung erfahren. Mittelfristig zeigt sich eine leichte Verbesserung der Beschwerden und Belastungen. In Anbetracht der oft nur einwöchigen Aufenthalte, der Multimorbidität und des hohen Lebensalters der Befragten sowie des sich erwartbar stetig verschlechternden Zustands des Pflegebedürftigen ist dieses Ergebnis positiv zu bewerten. Die Behandlungseffekte würden möglicherweise höher ausfallen, wenn der demente Angehörige in Kurzzeitpflege betreut wäre. Entsprechende Versorgungsangebote gibt es für Pflegende. Die zeitweilige Trennung stellt jedoch wegen des drohenden Kontaktabrisses für die Befragten keine Option dar. Eine Alternative zu einer dreiwöchigen Vorsorgemaßnahme kann der wiederholte 1-2-wöchige Aufenthalt innerhalb eines Jahres sein. Diese Möglichkeit wählten 11 Teilnehmer der Studie.

Praktische Implikation: Bei den Pflegenden besteht der Wunsch nach weiteren stationären Vorsorgeangeboten, die sich in relativer Wohnortnähe befinden sollten, um die Mühen der Anreise gering zu halten. Es leitet sich außerdem ein Auftrag für professionelle Dienstleister ab, passende Hilfsangebote im häuslichen Umfeld für die oft hoch belasteten Pflegenden besser zugänglich zu machen.