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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Schuleigene Pflegekräfte in Hessen und Brandenburg. Erste Ergebnisse eines Modellprojekts

Meeting Abstract

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  • Antje Tannen - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Berlin
  • Jennifer Ebert - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Berlin
  • Yvonne Adam - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf120

doi: 10.3205/18dkvf120, urn:nbn:de:0183-18dkvf1203

Published: October 12, 2018

© 2018 Tannen et al.
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Hintergrund: In vielen Ländern (darunter Skandinavien und angloamerikanische Staaten) hat sich die Arbeit von schuleigenen Pflegekräften (school nurses) bewährt und ist eine unverzichtbare Komponente der Gesundheitsversorgung geworden. Sie übernehmen sowohl die pflegerische Versorgung von akuten Unfällen oder Beschwerden bzw. entscheiden über den weiteren Versorgungsbedarf, als auch Aufgaben im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung. Zudem stehen sie dem Kollegium, den Eltern und schulinternen Gremien mit gesundheitsbezogener Expertise zur Verfügung und können so die Schulentwicklung unterstützen. In einem länderübergreifenden Modellprojekt wurden in Hessen (HE) und Brandenburg (BB) n=20 Gesundheits- und (Kinder-) Krankenpflegende zur Schulgesundheitsfachkraft (SGFK) weitergebildet und arbeiten sowohl an Grund- als auch weiterführenden Schulen. Projektträger sind die Hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAGE e.V.) und der AWO Bezirksverband Potsdam.

Fragestellungen: Im Rahmen der wissenschaftlichen Evaluation wurden bisher folgende Fragen untersucht: Wie ist die Ausgangslage an den beteiligten Schulen (N=30) im Hinblick auf die gesundheitliche Lage der Schüler/innen, sowie die gesundheitsbezogenen Bedarfe der Eltern und Lehrer/innen? Welches Tätigkeitsspektrum konnten die SGFK in der Anfangsphase entwickeln?

Methode: Multimethods-Ansatz: standardisierte schriftliche Befragung von Schüler/innen (n= 5.519 in BB; n=9.404 in HE), Eltern (n=5.519 in BB; n= 9.404 in HE) und Lehrer/innen (n=441 in BB; n=838 in HE), qualitative mündliche Interviews mit Schüler/innen (n= 20 in BB; n=15 in HE) , Eltern (n=6 in BB, n=11 in HE) und Lehrer/innen (n=8 in BB; n= 10 in HE), partizipativ angelegte Workshops mit den SGFK (n=20), Dokumentenanalyse und Netzwerkanalyse.

Ergebnisse: Die Rücklaufquoten der schriftlichen Befragung betrugen zwischen 20 und 46%. Der Betreuungsschlüssel pro SGFK betrug zwischen 1: 497 und 1:1.250. Ein Drittel der Schüler/innen litten an einer chronischen Erkrankung, darunter Allergien (14 -20%) und psychische Störungen (3 – 7%). Ungesunde Lebensstile nehmen mit dem Alter zu (geringer Verzehr von Obst und Gemüse, Konsum von zuckerhaltigen Getränken, wenig körperliche Aktivität, hoher Medienkonsum). Vor Einführung der SGFK musste ein erheblicher Teil der Schüler/innen aufgrund von Schmerzen, Verletzungen oder akuten Erkrankungen nach Hause geschickt werden (20-33%). Die häufigsten Kontaktanlässe der Schüler/innen waren in den ersten sechs Monaten akute Krankheitsbeschwerden (44%), Unfälle (24%) und tätliche Auseinandersetzungen (5%). Die Tätigkeitsschwerpunkte der SGFK variieren je nach Schultyp. Die selbst eingeschätzte Gesundheitskompetenz (health literacy) der Lehrer/innen und Eltern deutet u.a. auf Schwierigkeiten hin, Informationen über psychische Erkrankungen zu finden und zu bewerten sowie die Vertrauenswürdigkeit von gesundheitsbezogenen Medieninformationen einzuschätzen. Übereinstimmend äußerten Schüler/innen, Eltern und Lehrer/innen eine hohe Akzeptanz der SGFK, eine spürbare Sicherheit und Entlastung im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Versorgung der Kinder und Jugendlichen in der Schule und den Wunsch nach einer Verlängerung oder Verstetigung des Angebots über die Projektphase hinaus.

Diskussion: Die Analyse der Ausgangslage und die intensive Inanspruchnahme bestätigen den Bedarf an schulischer Gesundheitsversorgung durch eine schuleigene Pflegekraft. Neben akuten Krankheitsbeschwerden wurden auch deutliche Präventionsbedarfe in der Zielgruppe der Kinder- und Jugendlichen erkennbar. Darüber hinaus zeigten Eltern und Lehrer/innen, punktuelle Defizite in ihrer selbst eingeschätzten Gesundheitskompetenz, woraus sich auch bei ihnen ein Bedarf an edukativen Interventionen ableiten ließe. Im weiteren Projektverlauf werden aufbauend auf die Analyse der Ausgangslage die Auswirkungen der SGFK auf die Gesundheits- und Bildungschancen der Schüler/innen beobachtet sowie fördernde und hemmende Bedingungen während der Modellphase evaluiert. Ergebnisse werden für August 2018 erwartet und neben den beteiligten Bundesländern zeigen auch schon andere Bundesländer Interesse an dem Modellprojekt.

Praktische Implikationen: Das für Deutschland innovative Versorgungskonzept einer schuleigenen Pflegekraft zeigte nach einem vergleichsweise kurzen Projektzeitraum von ca. 18 Monaten bereits eine hohe Akzeptanz bei den Zielgruppen und einen vielfältigen Handlungsbedarf sowohl in der individuenbezogenen Erstversorgung als auch in der populationsbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention für schuleigene Pflegekräfte. Die Erweiterung des pflegerischen Berufsprofils besitzt Potential zur Förderung der öffentlichen Gesundheit im Setting Schule.