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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Ressourcenverbrauch und Ressourcengewinn durch Pflegedokumentationskonzepte in vollstationären Pflegeeinrichtungen

Meeting Abstract

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  • Eugenia Larjow - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen
  • Wolf Rogowski - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Bremen

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf119

doi: 10.3205/18dkvf119, urn:nbn:de:0183-18dkvf1198

Published: October 12, 2018

© 2018 Larjow et al.
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Hintergrund: Im Jahr 2013 beliefen sich Schätzungen der Kosten aus Pflegedokumentationsanforderungen für vollstationäre Pflegeeinrichtungen in Deutschland auf rund 1,9 Mrd. €. Im gleichen Jahr begannen die Vorarbeiten für die bundesweite Implementierung eines personzentrierten Pflegedokumentationsmodells, das als Strukturmodell bekannt ist und eine Alternative zu konventionellen Dokumentationsvorgehen darstellt. Letztere halten den Pflegeprozess entlang formalisierter Aktivitäten des täglichen Lebens fest. Der narrative Ansatz des Strukturmodells rückt hingegen individuelle Bedarfe und Bedürfnisse von Pflegebedürftigen, Bürokratieabnahme und Pflegeprofessionalisierung von Pflegekräften in den Fokus. Die Eignung des Strukturmodells wurde bisher aus einem juristischen und pflegefachlichen Blickwinkel erfolgreich evaluiert. Dieses Projekt nähert sich der wirtschaftlichen Perspektive von Einrichtungsbetreibenden. Hierfür vergleicht es den Umfang von Bürokratiekosten aus einem narrativen Dokumentationsansatz mit solchen, die aus konventionellen Konzepten entstehen. Ergänzend wird diskutiert, ob die Wahl des Dokumentationskonzeptes Einfluss auf die subjektive Arbeitsfähigkeit von Pflegekräften hat, die als Prädikator für den Berufsausstieg angenommen wird.

Fragestellungen:

1.
Wie wirkt sich die Implementierung des Strukturmodells in vollstationären Pflegeeinrichtungen auf die Bürokratiekosten durch Pflegedokumentation nach § 113 Abs. 1 SGB XI im Vergleich zu anderen Pflegedokumentationskonzepten aus?
2.
Welche Auswirkungen hat die Wahl des Pflegedokumentationskonzeptes auf die subjektiv wahrgenommene Arbeitsfähigkeit von Pflegekräften in vollstationären Pflegeeinrichtungen?

Methode: In der als Quasi-Experiment angelegten Mixed-Methods-Studie werden Pflegekräfte und Einrichtungsleitungen aus 40 vollstationären Pflegeeinrichtungen befragt. Um möglichst homogene administrative Ausgangsbedingungen zu gewährleisten, werden diese aus einem convenience sample eines Stadtstaates ausgewählt und entsprechend dem genutzten Dokumentationskonzept in zwei Vergleichsgruppen eingeteilt. Die Erhebung setzt sich aus zwei Strängen zusammen:

1.
Mit einem standardisierten Fragebogen werden angelehnt an die Methodik der Bürokratiekostenmessung (Standard-Kosten-Modell; SKM) Zeiten und Sachkosten erhoben, die für Dokumentationsprozesse aufgebracht werden. Der Fragebogen wird schriftlich oder auf Wunsch telefonisch beantwortet.
2.
Die subjektive Einschätzung der Arbeitsfähigkeit wird mit einem Instrument aus den Arbeitswissenschaften, dem Work-Ability-Index (WAI), und unter Rückgriff auf den WAI-Kurzfragebogen schriftlich oder telefonisch direkt im Anschluss an die erste Befragung ermittelt.

Die ermittelten Werte werden entsprechend dem SKM-Berechnungsschema zu einmaligen und jährlichen Bürokratiekosten aggregiert, Regressionsanalysen unterzogen und die Ergebnisse in Fokusgruppen validiert. Abschließend werden die Einflüsse von organisationalen Rahmenbedingungen auf die geschätzten Aufwände ebenso wie auf die ermittelten WAI-Werte diskutiert.

Ergebnisse: Zum Konferenzzeitpunkt werden erste Ergebnisse zu folgenden Unterthemen erwartet

  • Erste Schätzungen der Kosten durch administrative Pflegedokumentatiosprozesse in der ausgewählten Untersuchungsregion
  • Erste Analyseergebnisse zu Unterschieden zwischen den ermittelten Kostenschätzungen differenziert nach der Art der betrachteten Dokumentationskonzepte.

Diskussion: Im Altenpflegesektor weisen Pflegekräfte die niedrigsten WAI-Werte auf. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sind Einrichtungsträger daher angehalten, präventiv auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen, um Personalmangel vorzubeugen. Der WAI hat sich als ein Prädikator für die künftige Arbeitsfähigkeit des Pflegepersonals erwiesen, wobei individuelle Faktoren, wie z.B. das Alter der Befragten, die Ausprägungen beeinflussen.

Das Schätzverfahren des Standard-Kosten-Modells (SKM) zielt auf die Abbildung eines Standardprozesses ab. Personenbezogene Besonderheiten von Dokumentationsprozessen, die mit individuellen Bedürfnissen von Pflegepersonen und subjektiven Einschätzungen von Pflegenden einhergehen und die im Strukturmodell adressiert werden, können mit Rückgriff auf SKM nicht näher betrachtet werden. Mit der Untersuchung werden jedoch Kostentendenzen der eingesetzten Dokumentationskonzepte abgebildet, die Einrichtungsbetreibenden erste Anhaltspunkte für Investitionsentscheidungen liefern können.

Praktische Implikationen: Im Projekt wird eine praxisorientierte Entscheidungshilfe entwickelt, die die Pflegeeinrichtungen bei der Auswahl von Anschaffungsalternativen zum Erfüllen von Dokumentationspflichten nach § 113 Abs.1 SGB XI unterstützt. Zugleich wird geprüft, inwieweit die Wahl des Pflegedokumentationsmodells zu höheren WAI-Werten und damit zum Verbleib von Pflegekräften in einer Einrichtung beitragen kann.