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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Verbesserung der Versorgungsqualität für Menschen mit Seltenen Erkrankungen – Eine Delphi-Studie zu Bedarfen und Erwartungen an die Gesundheitsversorgung von Patienten

Meeting Abstract

  • Diana Druschke - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Gabriele Müller - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Frederik Haarig - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Toni Lange - Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Christine Mundlos - Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.V., ACHSE Wissensnetzwerk und Beratung, Berlin
  • Jochen Schmitt - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Konsortium TRANSLATE-NAMSE - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf106

doi: 10.3205/18dkvf106, urn:nbn:de:0183-18dkvf1061

Published: October 12, 2018

© 2018 Druschke et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland leiden ca. 4 Millionen Menschen an einer Seltenen Erkrankung (nicht mehr als 1 Person pro 2.000 Einwohner betroffen). Eine frühzeitige und präzise Diagnosestellung ist zentrale Voraussetzung, eine Krankheit nicht nur symptomatisch, sondern möglichst ursachenorientiert behandeln zu können und damit schwere Krankheitsmanifestationen zu verhindern sowie unnötige diagnostische Maßnahmen und Belastungen für die Patienten (z.B. Nachteile bei der Beantragung von Gesundheitsleistungen, unsichere Prognosen) zu vermeiden. Schnittstellenprobleme zwischen den Sektoren und Leistungserbringern mit einem unzureichenden Informationsaustausch und Wissenstransfer von der spezialärztlichen Versorgung zu anderen Leistungserbringern führen für die Betroffenen oft zu redundanten diagnostischen Maßnahmen und erheblichen Verzögerungen von Therapieanpassungen und damit zu einer vermeidbaren Reduktion der Versorgungsqualität. Die Sicht der Patienten und deren Bedarfe an eine umfassende und adäquate medizinische Versorgung bleiben bislang wenig beachtet, werden aber u.a. im Rahmen der Patientenorientierung im Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) gefordert.

Fragestellung: Die Versorgungsqualität und -effektivität vieler Seltener Erkrankungen ist aufgrund einer regional sehr unterschiedlichen und bisher unzureichend vernetzten speziellen Expertise und der diesbezüglich fehlenden finanziellen Ressourcen limitiert. Zur Erstellung eines Patientenfragebogens zur Evaluation von innovativen medizinischen Versorgungskonzepten für diese sehr heterogene Patientengruppe wurden die Erwartungen und Bedarfe der Patienten und ihrer Angehörigen an die medizinische Versorgung eruiert.

Methode: Aufbauend auf den Ergebnissen von Literaturrecherchen, zwei moderierten Fokusgruppen und sieben halbstandardisierten Interviews mit Patienten und Angehörigen verschiedener Seltener Erkrankungen sowie Expertengesprächen mit Vertretern des Dachverbands der Selbsthilfe „Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.V.“ sowie Selbsthilfegruppen wurde eine onlinebasierte 2-stufige Delphi-Studie mit Patienten und Angehörigen zur Konsentierung derer Bedarfe und Erwartungen an das Gesundheitssystem durchgeführt. Es wurden die aus Patienten- und Angehörigensicht relevanten 10 Bereiche abgebildet, die als Basis für die Delphi-Studie dienten. In der ersten Stufe der Delphi-Studie sollte die subjektive Bedeutsamkeit der identifizierten Bedarfe und Erwartungen eingeschätzt werden. In der zweiten Stufe erhielt jeder Teilnehmer eine Rückmeldung der durchschnittlichen Gruppenergebnisse sowie seine Ergebnisse aus der ersten Stufe und wurde anhand des gleichen Fragebogens um erneute Bewertung der 10 relevanten Bereiche gebeten. Bedarfe und Erwartungen, die mit mindestens 75%iger Einigkeit innerhalb der Gruppe als relevant (hohe Bedeutsamkeit) bewertet wurden, galten als konsentiert und fanden Eingang in den Fragebogen zur Evaluation.

Ergebnisse: 208 Patienten bzw. Angehörige haben beide Delphi-Befragungsrunden vollständig ausgefüllt. Von den ursprünglich 83 Fragen wurden in Stufe 2 abschließend 48 (Stufe 1: 42%; Stufe 2: 58%) als sehr bedeutsam bewertet. Aus Patientensicht wurden nach der ersten Runde noch 6 Items ergänzt (z.B. Relevanz von Fremdanamnesen im Diagnostikprozess). Wichtige Themenfelder finden sich in den Bereichen: Fachkompetenz der behandelnden Ärzte zu Seltenen Erkrankungen, Informationen über Selbsthilfeorganisationen, Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, Informationen zu Studien und Behandlungsmöglichkeiten, Arzt-Patient Kommunikation, Diagnostik- und Therapieprozess, Kostenübernahmen, Ansprechpartner im Zentrum für Seltene Erkrankungen, Versorgungssituation und Informationen zur Alltagsbewältigung.

Diskussion: Der qualitative Ansatz der Fokusgruppen und Einzelinterviews ermöglicht es, die subjektiven Sichtweisen, Erfahrungen und Überzeugungen interaktiv im Dialog zu explorieren und wird der Heterogenität der Zielgruppe damit gerecht. Der Rekrutierungsweg über den Dachverband der Selbsthilfe „Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.V. erweist sich als zielführend. Die in Stufe 2 der Delphi-Studie erfolgte Rückmeldung der durchschnittlichen Gruppenmeinung führt zu einer Veränderung der individuellen Einschätzungen der Bedeutsamkeit. Mit dem hier vorgestellten Vorgehen wird eine hohe Patientenorientierung und -partizipation realisiert und eine Basis für die Evaluation von Projekten in der Versorgungsforschung im Bereich der Seltenen Erkrankungen geschaffen.

Praktische Implikationen: Aus den als relevant bewerteten Bedarfen und Erwartungen können Evaluations-Fragebögen abgeleitet werden, in denen die Übereinstimmungen der vorgefundenen Versorgungsrealität innerhalb von innovativen medizinischen Versorgungskonzepten mit den eigenen Bedarfen und Erwartungen bewertet werden kann.

*TRANSLATE-NAMSE wird gefördert aus Mitteln des Innovationsfonds.