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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Bürger- und Patientenbeteiligung (PPI) in der gesundheitsbezogenen Forschung: Wie wird in PPI Studien über die Auswahl und Repräsentativität von Teilnehmenden berichtet und wie beurteilen die Studienautoren PPI?

Meeting Abstract

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  • Jonas Lander - Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • Holger Langhof - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Hannover
  • Marie-Luise Dierks - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf091

doi: 10.3205/18dkvf091, urn:nbn:de:0183-18dkvf0919

Published: October 12, 2018

© 2018 Lander et al.
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Hintergrund: In den letzten Jahren wurden viele Gründe identifiziert, warum die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bzw. von Patientinnen und Patienten in Forschungs- und Entscheidungsprozessen wichtig ist. Dazu zählt unter anderem, Forschungsschwerpunkte an gesellschaftlichen Präferenzen zu orientieren, bestehende Versorgungsmodelle anzupassen, und den Mehrwert neuer Technologien für die Gesundheitsversorgung abzuschätzen. „Bürger- und Patientenbeteiligung“ („Patient and Public Involvement“: PPI) dient als Sammelbegriff für verschiedene Beteiligungsformen, mit denen ein gesellschaftlicher Beitrag für diese und weitere Herausforderungen geleistet werden soll.

Obwohl PPI in der internationalen Forschung bereits berücksichtigt wird, bestehen zahlreiche konzeptionelle und praktische Fragen, die entweder kaum adressiert oder hauptsächlich normativ erörtert werden. Eine zentrale Forschungsfrage ist, welche „Bürger“ und „Patienten“ an Beteiligungsprozessen mitwirken sollen und können, wie diese ausgewählt werden und wie sichergestellt wird, dass sie die Meinungen der breiten Öffentlichkeit/Zielgruppe angemessen vertreten.

Fragestellung: Ziel war es zu analysieren, wie a) publizierte PPI Studien, und b) PPI Studienautoren in der gesundheitsbezogenen Forschung darüber berichten, wie und mit welchen Absichten Teilnehmende (TN) rekrutiert werden und wie dabei Repräsentativität umgesetzt wird. In diesem Zusammenhang sollten auch weitere, allgemeinere Aspekte analysiert werden, vor allem: die bisherige Methodik zur Planung und Umsetzung von PPI; das Verständnis des Konzepts von „Beteiligung“ und“ Partizipation“; und zukünftige Herausforderungen und Präferenzen aus der Sicht von PPI Studienautoren.

Methode: Das Forschungsprojekt wurde zweizügig durchgeführt:

a) 2016: thematische Textanalyse publizierter PPI Studien, basierend auf einer systematischen Literaturrecherche in PubMed, Scopus und ScienceDirect. Die Ergebnisse wurden qualitativ und quantitativ zusammengefasst.

b) 2017: erneute systematische Literatursuche in den o.g. Datenbanken sowie in Web of Science und PsychInfo. Identifikation relevanter Studien, elektronische Befragung von 315 internationalen Autoren von PPI Studien. Die Ergebnisse wurden in SPSS analysiert.

Ergebnisse: Teil a): Von 3791 Treffern wurden 46 Studien eingeschlossen. In diesen wurden allgemeine Aspekte wie Auswahlkriterien (87%), Rekrutierungsmethoden (82%) und Repräsentativitäts-Ziele (59%) relativ regelmäßig dargestellt. Weniger als die Hälfte aller Studien (n=21) enthielten Angaben dazu, dass über Art und Ort der Auswahl bewusst entschieden wurde. In allen anderen Studien waren die TN zufallsmäßig ausgewählt worden oder es wurde keine Begründung genannt (59%). Nur in 11% war angegeben, dass die Rekrutierungsmethode an die jeweiligen Auswahlkriterien angepasst wurde. Bezüglich der Repräsentativität der TN fehlten regelmäßig genauere Angaben, z.B. zur Definition von „Repräsentativität“ in der jeweiligen Studie, oder ob die TN letztendlich repräsentativ waren (41%).

Teil b): Aus 8329 Treffern wurden 315 korrespondierende Autoren für die Befragung ausgewählt (Rücklauf 40%). 57 von 127 Autoren berichteten, mehr als ein Beteiligungsziel gehabt zu haben (45%). In 56% aller Fälle wurde mehr als eine Art von TN rekrutiert, z.B. TN mit und ohne thematische Vorerfahrungen. Repräsentativität wurde dabei oft als ein (sehr) wichtiges Ziel bewertet (71%), wobei nur 43% der Autoren die Rekrutierung ‚passender‘ TN als einfach oder sehr einfach bewerteten. Auch wurde oft angegeben, dass es schwierig (52%) oder sehr schwierig (17%) ist, Repräsentativität zu erreichen. Die Autoren nannten weiterhin viele unterschiedliche Kritikpunkte bezüglich der Auswahl und Repräsentativität von TN (Freitextantworten) und formulierten den Wunsch nach Orientierungshilfe, um PPI zu planen und durchzuführen (56%). 55% gaben an, dass das Konzept „Beteiligung“ anders bzw. besser definiert werden sollte.

Diskussion: Verschiedene allgemeine Aspekte wie Rekrutierungsmethoden und Repräsentativitätsziele werden häufig berichtet, und PPI wird grundsätzlich als wichtig erachtet. Viele konzeptionelle und methodische Details werden allerdings oft nicht oder nur unvollständig berichtet, nicht beachtet oder als schwierig bewertet.

Praxisimplikationen: Die bisherige Berichterstattung über und Durchführung von PPI ist, zumindest hinsichtlich Rekrutierung und Repräsentativität, wenig systematisiert, transparent und methodisch geleitet. Um einen Beitrag zur Verbesserung der aktuellen Praxis zu leisten, schlagen wir eine ‚Checkliste‘ vor, anhand derer die o.g. Aspekte geplant und durchgeführt und somit Bedingungen für effektive und wirksame Partizipation geschaffen werden können.