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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Left without beeing seen (LWBS) – Warum Patientinnen und Patienten die Notaufnahme vor der ärztlichen Behandlung verlassen

Meeting Abstract

  • Martina Schmiedhofer - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arbeitsbereich Notfallmedizin/Rettungsstellen, Berlin
  • Tristan Wrobl - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arbeitsbereich Notfallmedizin, Berlin
  • Anna Slagman - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arbeitsbereich Notfallmedizin, Berlin
  • Martin Möckel - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arbeitsbereich Notfallmedizin, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf071

doi: 10.3205/18dkvf071, urn:nbn:de:0183-18dkvf0717

Published: October 12, 2018

© 2018 Schmiedhofer et al.
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Text

Hintergrund: Aus internationalen Studien ist bekannt, dass eine relevante Gruppe von Notaufnahmepatienten diese während der Wartezeit oder nach der Anmeldung vor der ärztlichen Untersuchung verlässt. An drei Notaufnahmestadtorten der Universitätsklinik einer deutschen Großstadt sind es ca. 3 Prozent der Patientinnen und Patienten im Jahr. Über die Motive dieser „Left without beeing seen“ (LWBS) Personen und deren mögliche alternative Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte oder andere Notaufnahmen liegen keine systematischen Informationen vor. Zur Verbesserung der Versorgungsqualität von Notaufnahmepatienten sind diese jedoch erforderlich.

Fragestellung: Um Hintergründe und persönlichen Motive des Verhaltens zu erfahren, müssen LWBS-Patienten direkt befragt werden:

  • Aus welchen Gründen haben die Patienten die Notaufnahmen vor einer ärztlichen Konsultation verlassen?
  • Welche ambulante oder stationäre Behandlung haben sie ggfs. im Anschluß an das Verlassen der Notaufnahme in Anspruch genommen?
  • Wie lange haben sie bis zum Verlassen der Notaufnahme gewartet?

Methoden: Alle 3.266 erwachsenen LWBS-Patientinnen und Patienten, die zwischen Oktober 2015 und September 2016 eine der drei untersuchen Notaufnahmen vor einem Arztkontakt verlassen hatten, wurden telefonisch oder (auf Wunsch) schriftlich befragt. 1.067 Personen beantworteten standardisierte und offene Fragen zu Wartezeiten, zum Grund des Verlassens der Notaufnahme und zur einer ggfs. anschließenden ambulanten oder stationären Versorgung. Die offenen Antworten wurden codiert und gemeinsam mit den standardisiert beantworteten Fragen mit MAXQDA12 ausgewertet.

Ergebnisse: Ca. 25 Prozent der Befragten gaben an, dass sich ihr Anliegen vor einem Arztkontakt erledigt hatte. Dies geschah durch medizinische Maßnahmen der Pflege, durch Beruhigung während des Erstkontaktes mit einer Pflegekraft oder durch Besserung der Beschwerden während des Wartens. Fünf Prozent verließen die Notaufnahme auf Anraten der Pflege angesichts der voraussichtlich langen Wartezeit. 10 Prozent der Befragten nannten persönliche Gründe wie Kinderbetreuung oder Erwerbsarbeit, die eine längere Wartezeit nicht zuließen. Die große Mehrheit der LWBS-Patienten verließ die Notaufnahme aufgrund nicht kalkulierbarer Wartezeiten, der unkomfortablen, körperlich belastenden Wartesituation und/oder einer als defizitär bewerteten Kommunikation und Zuwendung seitens des Pflege- und administrativen Personals. 73 Prozent suchten innerhalb der folgenden 7 Tage entweder eine Praxis oder eine andere Notaufnahme auf; weitere 5 Prozent taten dies innerhalb der nächsten 30 Tage nach dem Notaufnahmebesuch.

Die mediane Wartedauer aller Befragten betrug ein bis zwei Stunden bis zum Verlassen der Notaufnahme.

Schlussfolgerung: Die befragten LWBS-Patienten erwarteten häufig eine praxisähnliche Versorgungsstruktur mit kalkulierbaren Wartezeiten und regelmäßigen Ansprachen während der Wartezeit. In Notaufnahmen folgt die Behandlungsfolge jedoch der medizinischen Dringlichkeit, die mit der Triagierung nach Eintreffen in der Notaufnahme festgelegt wird sowie nach der Verfügbarkeit der Dienst habenden Ärztinnen und Ärzte. Wartezeiten sind daher weder kalkulier- noch planbar und die physische Wartesituation ist, insbesondere zu Zeiten der Überfüllung, unkomfortabel. Die Ungewißheit über die Wartedauer und die auch körperlich belastende Wartesituation führten bei LWBS-Patienten zum Verzicht auf eine akute ärztliche Behandlung.

Praktische Implikationen: Notaufnahmen dienen als Anlaufstellen sowohl für die notfall- als auch für die akutmedizinische Versorgung. Insbesondere zu Zeiten der Überfüllung kann dies zu überlangen Wartezeiten führen. Um Fehlversorgungen zu vermeiden, benötigt eine patientenorientierte Notfallversorgung deshalb ausreichend Ressourcen für die notfall- und akutmedizinische Behandlung der Hilfe suchenden Patientinnen und Patienten.