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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Ergebnisse der Evaluationsstudie EvaFit zur Implementierung von Kinderorientierung in Drogenberatungsstellen

Meeting Abstract

  • Kira Isabel Hower - Universität zu Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Rehabilitationswissenschaft, Köln
  • Holger Pfaff - Universität zu Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Rehabilitationswissenschaft, Köln
  • Jörg Kons - Information und Hilfe in Drogenfragen e.V., Fitkids, Wesel
  • Sandra Groß - Information und Hilfe in Drogenfragen e.V., Fitkids, Wesel
  • Lena Ansmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf045

doi: 10.3205/18dkvf045, urn:nbn:de:0183-18dkvf0456

Published: October 12, 2018

© 2018 Hower et al.
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Text

Hintergrund: Derzeit leben etwa 50.000 Kinder drogenabhängiger Eltern in Deutschland. Sie sind eine besonders gefährdete und eine schwer zu erreichende Zielgruppe. Die Suchthilfe hat Zugang zu den Kindern und ist im Schwerpunkt auf die Beratung der suchtkranken Menschen ausgerichtet. Dabei ist sie nur in Ausnahmen auf die Arbeit mit Müttern und Vätern mit Kindern eingestellt. Um diese Situation vor Ort nachhaltig zu verbessern, wurde das Fitkids-Programm entwickelt. Es ist ein Personal- und Organisationsentwicklungsprogramm für Drogen- und Suchtberatungsstellen, das zum Ziel hat, die Kinder standardisiert mit in die Arbeit zu implementieren. Fitkids begleitet Drogenberatungsstellen durch Inhouse-Schulungen, Coaching, fallbasiertem Lernen und unterstützt sie im Change Management in Richtung Kinderorientierung. Die Evaluationsstudie EvaFit untersucht, inwieweit Fitkids zu einer stärkeren Umsetzung von Kinderorientierung in der alltäglichen Arbeit in Drogenberatungsstellen führt.

Fragestellung: Die Implementierung komplexer Interventionen wie Fitkids in Versorgungsorganisationen des Gesundheits- und Sozialwesens bedarf grundlegender Veränderungen von Handlungsprozessen und Strukturen. Rund 70% aller Veränderungsprozesse in Organisationen scheitern jedoch. Folglich gibt es Bedarf an Untersuchungen, die den Implementierungserfolg von Veränderungsprozessen in Organisationen untersuchen. Die EvaFit Studie beschäftigt sich mit der Fragestellung, inwieweit die durch Fitkids angeregten Veränderungsprozesse umgesetzt werden und inwieweit diese zu einer stärkeren Kinderorientierung führen.

Methode: In einem Vorher-Nachher-Design wurden die Beratungsstellenleitungen und –mitarbeiter*innen sowohl vor dem Start des Fitkids-Programms (t0) als auch ein Jahr nach Programmstart (t1) schriftlich mit einem standardisierten Fragebogen befragt. Die Fragebögen erfassen die Kinderorientierung auf Ebene der Mitarbeiter*innen und auf Ebene der Organisation Drogenberatungsstelle sowie die Kenntnisse und Kompetenzen der Mitarbeiter*innen im Umgang mit dem Kinderthema. Die Angaben der Mitarbeiter*innen wurden über die beiden Zeitpunkte hinweg mittels linearer Regressionsmodellierung verglichen.

Ergebnisse: An der Vorher-Nachher-Befragung nahmen zu t0 n=116 Mitarbeiter*innen und zu t1 n=143 Personen aus 15 Beratungsstellen teil (Rücklauf 81%). Zusätzlich wurden 10 Beratungsstellen, die vor 4-5 Jahren an Fitkids als Pilotstandorte teilgenommen haben, als Vergleichsgruppe befragt (n=68 Personen, Rücklauf 55%). Bereits vor Beginn der Implementierung konnten hohe Mittelwerte für die Kinderorientierung auf Mitarbeiter*innenebene festgestellt werden. Die selbst eingeschätzten Kenntnisse und Kompetenzen der Mitarbeiter*innen hinsichtlich rechtlicher Grundlagen, Beratungskompetenzen sowie Kooperationskompetenzen, haben sich nach einem Jahr der Implementierung zwar leicht, aber nicht signifikant erhöht. Die Kinderorientierung auf Organisationsebene war dagegen vor der Implementierung geringer ausgeprägt. Allerdings zeigte sich die Zunahme der Kinderorientierung auf Organisationsebene nach der Implementierung wesentlich stärker. Insbesondere die Ausprägung struktureller Standards und das allgemeine Bewusstsein für die Situation von Kindern der süchtigen Klient*innen sind nach einem Jahr nach der Implementierung deutlich gestiegen. Die 10 Pilotstandorte zeigten 4-5 Jahren nach der Implementierung durchweg höhere Mittelwerte für die Kinderorientierung auf Organisations- und Mitarbeiter*innenebene als die 15 neu rekrutierten Drogen- und Suchtberatungsstellen zum gleichen Befragungszeitpunkt in t1.

Diskussion: Die Evaluation der Implementierung komplexer Interventionen erfordert nicht nur die Betrachtung erhoffter Endziele (hier: gesundes Aufwachsen von Kindern), sondern auch der dazu notwendigen organisationalen Veränderungsprozesse und Bedingungen. Der Nutzen dieser Evaluation besteht zunächst darin, zu prüfen, wie gut das Fitkids-Programm implementiert worden ist und ob sich dies in einer stärkeren Kinderorientierung niederschlägt. In der Folgestudie EvaFit II werden zurzeit qualitative Interviews mit suchtkranken Eltern und/oder deren Kindern/Jugendlichen in Drogenberatungsstellen geführt, die Fitkids implementiert haben. Ziel ist es, zu explorieren, wie diese die Unterstützung in den Drogen- und Suchtberatungsstellen wahrnehmen und wie sich dies auf deren Zusammenleben auswirkt.

Praktische Implikationen: Die Evaluationsergebnisse liefern Ansatzpunkte für eine nachhaltige Optimierung der Implementierungs- und Programmqualität von Versorgungsinnovationen. Notwendig dafür ist das Wissen um Wirkzusammenhänge und Einflussfaktoren, um an diesen ansetzen zu können. Das Vorhaben leistet folglich einen Wissensbeitrag, den Initiatoren von Veränderungsprozessen in Versorgungseinrichtungen wie Drogenberatungsstellen nutzen können, um Einfluss auf den Implementierungserfolg nehmen zu können und um eine nachhaltige Veränderungskultur zu schaffen.