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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Gesundheitskompetenz bei Patienten mit Variablem Immundefekt Syndrom (CVID)

Meeting Abstract

  • Iris Tinsel - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg
  • Marianne Bayrhuber - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Freiburg
  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg
  • Gerhard Kindle - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Freiburg
  • Sigune Goldacker - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Freiburg
  • Bodo Grimbacher - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Freiburg
  • Klaus Warnatz - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Freiburg
  • Alexandra Nieters - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI), Freiburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf031

doi: 10.3205/18dkvf031, urn:nbn:de:0183-18dkvf0317

Published: October 12, 2018

© 2018 Tinsel et al.
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Text

Hintergrund: CVID ist die häufigste Diagnose unter den angeborenen Immundefekten, mit einer geschätzten Prävalenz zwischen 1:100.000 und 1:10.000. Die Patienten haben einen Mangel an Immunglobulinen (Ig) und sind hierdurch anfällig für bakterielle Infektionen. Über 30% der Patienten entwickeln Folgeerkrankungen der Lunge, des Magen-Darm Traktes, der Lymphknoten und Tumoren. Trotz guter Wirksamkeit der Therapie mit lebenslangem Ersatz von IgG treten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger Infektionen und sekundäre Komplikationen sowie chronische Sinusitis, Diarrhoe oder Fatigue auf. Die Krankheit manifestiert sich meist im jungen Erwachsenenalter, die Lebensqualität der Patienten ist reduziert. CVID ist bisher nicht heilbar, so dass sich die Betroffenen mit der Erkrankung, Therapie und ihren Folgen dauerhaft auseinandersetzen müssen. Verschiedene Studien mit chronisch kranken Personen zeigten Assoziationen von Gesundheitskompetenz und krankheitsbezogener Kommunikation mit verschiedenen Gesundheitsoutcomes wie auch berufsbezogenen Belastungen.

Fragestellung: Wir untersuchten deskriptiv berichtete Gesundheitsoutcomes und klinischer Parameter von Patienten mit CVID. Im zweiten Schritt überprüften wir die Zusammenhänge der Gesundheitskompetenz der Patienten mit berichteten Beeinträchtigungen, der wahrgenommenen Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und klinischen Parametern.

Methoden: In einer vom BMBF geförderten Querschnittserhebung (Fördernummer 01EO1303) wurden im Juli 2016 N=330 erwachsene Patienten mit CVID eines spezialisierten Behandlungszentrums zur Studienteilnahme eingeladen. Patienten wurden mittels Fragebogen zur Gesundheitskompetenz (HELP-Fragebogen mit den Subskalen ‘Verständnis‘ und ‘Anwendung‘ von medizinischen Informationen sowie ‘Kommunikation mit Behandlern‘), ihrer wahrgenommen Gesundheit (SF-12), Beeinträchtigungen durch Infekte oder Fatigue, ihrer Arbeitsfähigkeit (Work Ability Index WAI) und ihrem Bedarf an Patientenschulungen, befragt. Immunglobulin-Spiegel, Folgeerkrankungen etc. wurden aus der im Zentrum vorhandenen Patientendatenbank erhoben. Die Studienpopulation wurde deskriptiv beschrieben und statistische Zusammenhänge mit bivariaten Korrelationen geprüft.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen n=238 Patienten mit CVID, 50,8% davon weiblich, an der Befragung teil (Rücklaufquote: 74,8%). Über 90% der Patienten erhielten IgG-Substitutionen, 70% hatten spezifische Komorbiditäten. Zwischen 24% und 50% der Patienten berichteten Schwierigkeiten mit dem Verständnis oder der Anwendung von medizinischen Informationen oder in der Kommunikation mit ihren Behandlern. Ein substantieller Anteil der Patienten (49-64%) äußerte Interesse an Schulungen zu unterschiedlichen Themen, die die Erkrankung betreffen. Ebenfalls auf Interesse stießen verschiedene Aspekte zur krankheitsbezogenen Kommunikation und zum Arbeitsleben (17-32%).

Im Vergleich zu Normwerten (50; ±10) berichteten die Patienten eine geringere mittlere körperliche und psychische Gesundheit (SF-12 means: KSK=45,3; ±10,2 / PSK=44,7; ±11,3). Ein Großteil der Patienten erwähnte Belastungen durch Fatigue (83%) und verschiedene Infekte (54-76%). Die mittlere Arbeitsfähigkeit (WAI mean=32,5; ±8,5) lag im mittleren Bereich einer als ‘moderat‘ beschriebenen Arbeitsfähigkeit (28-36 Punkte). Die Subskalen des HELP-Fragebogens korrelierten signifikant mit der wahrgenommenen Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit und Fatigue, wobei die deutlichsten Zusammenhänge zwischen Schwierigkeiten in der ‘Kommunikation‘ und den Gesundheitsindikatoren zu verzeichnen waren. Klinische Parameter zeigten nur geringe Assoziationen mit den untersuchten Outcomes.

Diskussion: Die reduzierte wahrgenommene Gesundheit von Patienten mit CVID im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung folgt Ergebnissen aus Studien anderer chronischer (Immun-)Erkrankungen. Jeder zweite Patient mit CVID berichtete über Schwierigkeiten in der Gesundheitskompetenz, was sich im Interesse der Patienten an spezifischen Schulungen wiederspiegelte. Der gezeigte Zusammenhang zwischen Kommunikationsschwierigkeiten und geringer wahrgenommener Gesundheit sowie geringer Arbeitsfähigkeit der Studienteilnehmer öffnet neue Wege der Gesundheitsförderung durch Kommunikationsschulungen.

Praktische Implikation: Die Autoren empfehlen Ärzten für eine erfolgreiche Behandlung, neben den körperlichen Symptomen einschließlich Fatigue, auch die psychischen Implikationen der chronischen Erkrankung sowie die Gesundheitskompetenz der Patienten, in den Blickpunkt zu nehmen.

Über bestehende Schulungsangebote zur Immundefizienz sollten die Patienten informiert und zusätzlich Schulungen zur Förderung der Gesundheitskompetenz angeboten werden.