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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Unangemessene Operationen und Prozeduren im stationären Sektor: Quantifizierung des Trends und des Ausmaßes anhand der DRG-Statistik

Meeting Abstract

  • Verena Vogt - Technische Universität Berlin, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Berlin
  • Kelsey Chalmers - University of Sydney, Menzies Center for Health Policy, Sydney
  • Tim Badgery-Parker - University of Sydney, Menzies Center for Health Policy, Sydney
  • Dimitra Panteli - Technische Universität Berlin, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Berlin
  • Wilm Quentin - Technische Universität Berlin, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Berlin
  • Reinhard Busse - Technische Universität Berlin, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Berlin
  • Adam Elshaug - University of Sydney, Menzies Center for Health Policy, Sydney

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf024

doi: 10.3205/18dkvf024, urn:nbn:de:0183-18dkvf0245

Published: October 12, 2018

© 2018 Vogt et al.
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Text

Hintergrund: Vor dem Hintergrund der steigenden Gesundheitsausgaben im deutschen Gesundheitssystem wird es zunehmend wichtiger, sicherzustellen, dass das Budget der gesetzlichen Krankenversicherung nur für Leistungen ausgegeben wird, die einen nachgewiesenen klinischen Nutzen für den Patienten aufweisen. Dies impliziert die Minimierung von sogenannten unangemessenen Leistungen bzw. Leistungen, für die es Evidenz gibt, dass sie keinen oder nur einen minimalen Nutzen für den Patienten aufweisen. In einigen Hocheinkommensländern gibt es bereits umfassende Bestrebungen, das Ausmaß dieser Versorgungsleistungen systematisch zu quantifizieren. In Deutschland ist das Ausmaß unangemessener Versorgung bisher jedoch weitgehend unerforscht.

Fragestellung: Welche Indikatoren können für eine systematische Erfassung von unangemessenen Operationen und Prozeduren im stationären Sektor herangezogen werden und wie hoch ist der Anteil dieser Versorgungsleistungen?

Methode: Potentielle unangemessene Versorgungsleistungen wurden anhand eines Reviews der medizinischen Literatur zu „low-value care“ sowie der „do not do recommendations“ der internationalen Choosing Wisely-Kampagnen identifiziert. Von diesen insgesamt ca. 1980 Empfehlungen wurden solche eingeschlossen, die im stationären Sektor erbracht wurden und anhand eines OPS Codes eindeutig identifizierbar sind sowie deren Angemessenheit aufgrund von Kriterien wie Alter, Geschlecht, ICD Code oder OPS Codes abbildbar ist. Für jede ausgewählte Prozedur wurde jeweils eine enger und eine weiter gefasste Operationalisierung entwickelt, um unterschiedlicher Sensitivität und Spezifität Rechnung zu tragen. Die Anzahl der erbrachten Leistungen wurde anhand der Fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) nach § 21 KHEntgG der Jahre 2008-2015 gemessen. Außerdem wurde der Anteil unangemessener Versorgungsleistungen bezogen auf die jeweils betrachtete Prozedur berechnet.

Ergebnisse: Es wurden 10 potentiell unangemessene Versorgungsleistungen identifiziert, die anhand der DRG-Statistik gemessen werden können. Insgesamt beziehen sich diese Leistungen auf ca. 650.000 Krankenhausprozeduren und 4 % aller Krankenhausfälle pro Jahr. Im Durchschnitt sind jährlich zwischen 20 % (weiter gefasste Definition) und 14 % (enger gefasste Definition) dieser Prozeduren als potentiell unangemessen einzustufen. Der Anteil der unangemessenen Versorgungsleistungen an der jeweiligen Prozedur variiert dabei zwischen 0,9 % (Retinale Laser- oder Kryotherapie bei „lattice degeneration“) und knapp 100 % (Angioplastie oder Stentimplantation an der Nierenarterie bei Patienten mit renovaskulärer Hypertonie oder Atherosklerose der Nierenarterie). Insgesamt ist zwischen 2008 und 2015 ein Rückgang des Anteils unangemessener Versorgungsleistungen zu verzeichnen.

Diskussion: Diese Studie liefert erste Ansatzpunkte für eine systematische Erfassung von unangemessenen Versorgungsleistungen anhand der deutschen Krankenhausstatistik. Aufgrund der Beschränkungen der § 21er Daten (keine klinischen Informationen, Daten liegen auf Fallpauschalen- nicht auf Patientenebene vor) ist jedoch nur ein sehr geringer Anteil der international verwendeten Indikatoren zur Erfassung von unangemessener Versorgung operationalisierbar. Darüber hinaus müssen sich die identifizierten Indikatoren, bevor sie in Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen herangezogen werden können, einer umfassenden externen und internen Validierung unterziehen.

Praktische Implikationen: Die verwendete Methodik könnte ein Ansatzpunkt für ein umfassendes Monitoring unangemessener Versorgungsleistungen in Deutschland sowie für die Entwicklung weiterer Indikatoren zur Erfassung dieser Leistungen – auch in anderen Sektoren des Gesundheitssystems – sein. Darüber hinaus können Indikatoren, die sich mit minimalen Datenanforderungen operationalisieren lassen, eine Basis für internationale Vergleiche zu unangemessener Versorgung bilden, um Ansatzpunkte für Verbesserungsmöglichkeiten im deutschen Krankenhaussektor zu identifizieren.