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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Handhabbarkeit einer Tablet-basierten Telemonitoring-Anwendung durch multimorbide Patienten über 65 Jahre mit leichten kognitiven Defiziten (Projekt ATMoSPHÄRE)

Meeting Abstract

  • Madlen Scheibe - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Caroline Lang - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Dresden
  • Diana Druschke - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Katrin Arnold - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Edwin Luntz - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Jochen Schmitt - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden
  • Vjera Holthoff-Detto - Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf018

doi: 10.3205/18dkvf018, urn:nbn:de:0183-18dkvf0184

Published: October 12, 2018

© 2018 Scheibe et al.
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Text

Hintergrund: Telemedizin-Anwendungen zur Versorgung von Patienten mit leichten kognitiven Defiziten als auch Demenz fokussieren vorrangig die Unterstützung formeller oder informeller Pflegekräfte und Ärzte. Äußerst selten wurde untersucht, ob und wie Patienten selbst Telemedizin-Anwendungen, bspw. zum Monitoring, nutzen können.

Im BMBF-geförderten Projekt ATMoSPHÄRE (FZK: 13GW0075F) wurde die Handhabbarkeit einer Tablet-basierten Telemonitoring-Anwendung durch zuhause lebende, multimorbide Patienten über 65 Jahre mit leichten kognitiven Defiziten (MPD), hier definiert als ein MMST zwischen 20 und 26, qualitativ evaluiert. Die Anwendung verfügte über die Funktionen: Überblicksdarstellung der vom Messgerät übermittelten Blutdruckwerte, Weiterleitung der Werte an das studieneigene Care- und Casemanagement und deren Beurteilung, Erhalt von Mitteilungen der Case- und Care-Manager, regelmäßige Fragebögen zum Gesundheitszustand und diverse Unterhaltungsangebote.

Fragestellungen:

1.
Sind MPD in der Lage, eine Telemonitoring-Anwendung eigenständig in vollem Umfang zu nutzen?
2.
Wie bewerten MPD die Bedienbarkeit, Verständlichkeit und inhaltlichen Darstellungen der Anwendung und deren Funktionalitäten?
3.
Inwieweit beeinflussen Technikvorerfahrungen die Einfachheit der Nutzung?
4.
Ziehen MPD aus der Nutzung der Anwendung einen Mehrwert?

Methode: Es wurden Leitfadeninterviews mit MPD durchgeführt, transkribiert und nach der strukturierten Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 13 MPD qualitativ befragt (9w, 4m). Das Durchschnittsalter lag bei 79,2 Jahren (SD=5,5), der durchschnittliche MMST bei 24,6 (SD=1,5). Zwölf MPD haben nach der persönlichen Einführung weitere Unterstützung durch die Care- und Case-Manager oder einen Techniker in Anspruch genommen. Bei drei MPD nahmen der Partner/die Partnerin, bei vier MPD andere Familienangehörige, eine Unterstützerrolle ein. Dies führte soweit, dass vier MPD selbst fast gar nicht mit der Anwendung arbeiteten. Neun Patienten waren in der Lage, die Anwendung selbstständig zu bedienen.

Neun MPD berichteten, dass die Anwendung (Software) für sie leicht zu nutzen ist. Sieben äußerten dies für die Handhabbarkeit des Tablets (Hardware). Hier flossen Funktionsprobleme der Tablets ein, wodurch nur sechs MPD insgesamt zufrieden waren.

Für neun MPD waren die Ausgaben der Anwendung gut verständlich. Die Größe der Darstellungen, Schriftgröße und Farbkontrast wurden durch alle Patienten als genau richtig bewertet. Der Eingabeaufwand wurde von allen als gering empfunden, mitbedingt durch die automatisierte Übermittlung der Blutdruckwerte vom Messgerät an die Anwendung. Die Navigation innerhalb der Anwendung wurde von allen bis auf eine Ausnahme als leicht empfunden. Personen mit und ohne Vorerfahrung empfanden sowohl die Telemonitoring-Anwendung als auch das Tablet als leicht zu nutzen.

Der Funktionsumfang wurde nur durch sechs MPD bewertet, jedoch von allen als gut. Modifikationswünsche waren: Innovativere Edukationsmaterialien, die Berücksichtigung weiterer Komorbiditäten und eine bessere Passung zu den Bedürfnissen von MPD.

Für elf MPD hatte die Anwendung einen Mehrwert. Neun berichteten ein gesteigertes Sicherheitsempfinden durch die regelmäßige Werteübermittlung und das Wissen, dass sich bei kritischen Abweichungen ein Case- und Care-Manager/Arzt meldet. Fünf Patienten bewerteten die Möglichkeit, den Blutdruck unabhängig vom Arztbesuch nach Bedarf messen zu können, als positiv. Dies führe zu mehr Sicherheit und Unabhängigkeit im Alltag. Ebenfalls fünf Patienten maßen erst durch die Studie regelmäßig ihren Blutdruck.

Diskussion: Ältere multimorbide Personen mit leichten kognitiven Defiziten sind zum Großteil in der Lage, eine Telemonitoring-Anwendung eigenständig zu bedienen. Hierzu muss diese einfach strukturiert und wenig umfangreich sein, die Eingaben z.T. automatisiert erfolgen, die Inhalte gut verständlich und erkennbar sein und von einem umfangreichen Unterstützungsangebot inklusive persönlicher Einführung begleitet werden. In diesem Fall spielen Vorerfahrungen mit PCs oder Smartphones/Tablets eine untergeordnete Rolle. Zukünftige Studien müssen klären, wie eine solche Anwendung bzw. die Unterstützung verändert werden muss, damit auch MPDs, die selbst fast nicht mit der Anwendung arbeiteten, erreicht werden können. Zudem wäre es interessant, ob Patienten mit einer Demenz-Diagnose eine Nutzung möglich ist und bis zu welchem Schweregrad.

Im Rahmen eines RCTs sollte untersucht werden, ob und wie sich das Monitoring und das erhöhte Sicherheitsempfinden auf harte und weiche Endpunkte, wie z.B. die Anzahl der Arztbesuche, Entwicklung der Vitalparameter, Hospitalisierungsrate oder Lebensqualität auswirken.

Praktische Implikationen: Patienten mit leichten kognitiven Defiziten und Demenz müssen als eigenständige Nutzer von Telemedizin-Anwendungen stärker in den Fokus qualitativer, quantitativer und klinischer Studien der Versorgungsforschung rücken.