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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Entwicklung eines routinedatengestützten Prognosemodells zur Identifikation von Patienten mit einem erhöhten Bedarf für ein Entlassmanagement

Meeting Abstract

  • Thorsten Pollmann - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitsberichterstattung und Biometrie, Göttingen
  • Thomas Grobe - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitsberichterstattung und Biometrie, Göttingen
  • Katja Kleine-Budde - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitsberichterstattung und Biometrie, Göttingen
  • Klaus Focke - BKK Dachverband e.V., Versorgungsmanagement, Berlin
  • Karl Blum - Deutsches Krankenhausinstitut (DKI), Geschäftsbereich Forschung, Düsseldorf
  • Björn Broge - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Göttingen

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf001

doi: 10.3205/18dkvf001, urn:nbn:de:0183-18dkvf0017

Published: October 12, 2018

© 2018 Pollmann et al.
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Text

Hintergrund: Das vom Innovationsfonds des G-BA geförderte Projekt zur Entwicklung von Methoden zur Nutzung von Routinedaten für ein sektorenübergreifendes Entlassmanagement (EMSE) sieht vor, Routinedaten der Krankenkassen zu nutzen, um bereits zu Beginn eines stationären Krankenhausaufenthaltes Patienten mit einem erhöhten Bedarf für ein Entlassmanagement zu identifizieren und bedarfsgerecht versorgen zu können. Die datenbasierten Abschätzungen des Versorgungsbedarfs sollen künftig das bereits bestehende initiale Assessment im Krankenhaus ergänzen. Dazu erfolgt im Rahmen des Projektes nicht nur eine Methodenentwicklung, sondern auch eine Prüfung der gesetzlichen Grundlagen sowie der technischen Umsetzbarkeit, um Lösungen regelhaft in die Routinen von Krankenhäusern und Krankenkassen implementieren zu können.

Fragestellung: Wie können Patienten mit einem erhöhten poststationären Versorgungsbedarf auf der Grundlage von Routinedaten definiert und frühzeitig identifiziert werden?

Methode: Unter Anwendung eines Prognosemodells werden statistische Wahrscheinlichkeiten für spezifische Nachsorgebedarfe auf der Grundlage von routinemäßig verfügbaren Daten geschätzt. Die Datenbasis bilden anonymisierte Leistungsdaten der BAHN-BKK, Siemens BKK und BKK Linde. Eingeschlossen wurden alle Versicherten, die in den Jahren 2013 bis 2015 mindestens einmal aus einer stationären Krankenhausbehandlung entlassen worden sind (n=619.449). Unter Berücksichtigung eines Vor- und Nachbeobachtungszeitraumes werden insgesamt 366.734 Entlassungsfälle im Jahr 2014 untersucht. Neben den Krankenhausfalldaten (§ 301 SGB V) liegen für die Versicherten auch ambulante und stationäre Diagnosen sowie Leistungsinanspruchnahmen (z.B. Reha, Pflege, Hilfsmittel) für den o. g. Untersuchungszeitraum vor. Zur Operationalisierung unterschiedlicher Nachsorgebedarfe werden insgesamt sieben Outcomes definiert: Notfallwiederaufnahmen, ambulante Notfallbehandlung, Mortalität, stationäre Pflege, Pflegestufen-/Pflegegraderhöhung, medizinische Rehabilitation und Hilfsmittelbedarf. Mit Ausnahme der Pflegestufen-/Pflegegradhöhung (innerhalb von 90 Tagen) werden alle Outcome-Ereignisse berücksichtigt, die innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung auftreten. Als Prädiktoren zur Vorhersage der Bedarfe dienen sowohl allgemeine Patientenmerkmale (Alter, Geschlecht, Pflegestufe/-grade) und Aufnahmediagnosen des Indexfalls als auch prästationäre Diagnosen und Leistungsinanspruchnahmen, wie vorausgehende Krankenhausaufenthalte, eine Polymedikation oder ein vorbestehender Hilfsmittelbedarf. Die Risikoabschätzung erfolgt für jedes Outcome in einem logistischen Regressionsmodell unter Berücksichtigung von (1) Basisprädiktoren, (2) prästationäre Diagnosen (3) Aufnahmediagnosen. Zur Beurteilung der Vorhersagegüte werden ROC-Kurven unter Angabe der AUC-Werte verwendet.

Ergebnisse: Im Jahr 2014 war bei 7,3 % der Entlassfälle innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung eine Wieder-aufnahme als Notfall und bei 6,7 % der Fälle eine ambulante Notfallbehandlung zu beobachten. Die Sterblichkeit betrug 0,9 %. 24,3 % waren von einer Hilfsmittelverordnung betroffen. Wie erste Modellberechnungen zeigen, weisen – mit Ausnahme der Outcomes ambulante Notfallbehandlung (AUC=0,652) und Hilfsmittelbedarf (AUC=0,784) – alle finalen Modelle eine hohe Vorhersagegüte mit AUC-Werten größer 0,8 auf. Die Aufnahme der prästationären Diagnosen und Aufnahmediagnosen erhöhte vor allem die Vorhersagekraft des Modells zur Notfallwiederaufnahme. Bei den Outcomes Mortalität, Pflegestufen-/Pflegegraderhöhung und stationäre Pflege führte die Berücksichtigung von Aufnahmediagnosen zu leichten Modellverbesserungen.

Diskussion: Wesentliche Herausforderungen sind im Zuge der geplanten Implementierung einer auf den Ergebnissen des Prognosemodells basierenden Anwendungsroutine zu erwarten. Hier wird zu prüfen sein, inwieweit sich aufwendigere Schritte der Datenaufbereitung automatisieren und gegebenenfalls zeitnah anpassen lassen. Zudem sind die Datenaustauschverfahren zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen je nach Abrechnungskontext unterschiedlich geregelt, so dass zum Teil von erheblichen Verzögerungen in der Verfügbarkeit der einzelnen Datenbestände auszugehen ist. Ein weiterer Diskussionspunkt besteht in der Klassifizierung und Visualisierung der individuellen, vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten. Vorgesehen ist eine Zuweisung zu Ampelkategorien (grün, gelb, rot), bei deren Schwellenwertfestlegung es nicht nur empirische Überlegungen, sondern auch die ökonomische Tragweite sowie ethische Implikationen zu beachten gilt.

Praktische Implikationen: Mit dem Prognosemodell und den daraus resultierenden technischen Lösungen wird eine zusätzliche Entscheidungshilfe für das Entlassmanagement entwickelt, um das rechtzeitige Einleiten von Nachsorgemaßnahmen unterstützen zu können.